Leitsatz
1. Es ist immer eine durch Auslegung der letztwilligen Verfügung im konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage, ob eine Schlusserbeneinsetzung bei kinderlos verstorbenen Eheleuten wechselbezüglich ist oder nicht.
2. Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung der Wechselbezüglichkeit, muss nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden, ob sie wechselbezüglich ist oder nicht. Führt die Ermittlung des Erblasserwillens weder zur gegenseitigen Abhängigkeit noch zur gegenseitigen Unabhängigkeit der beidseitigen Verfügung, ist gem. § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.
3. Dass die Verwandten eines Ehegatten testamentarisch mit einer signifikant höheren Erbquote als die Verwandte des anderen Ehegatten bedacht worden sind, ist für die Frage einer Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügung zur Schlusserbfolge ohne Bedeutung.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.4.2022 – 3 Wx 82/21
1 Gründe
I.
Der Erblasser ist kinderlos verstorben. Zusammen mit seiner im Juni 2012 vorverstorbenen Ehefrau hat er zwei letztwillige Verfügungen hinterlassen. Durch handschriftlich verfasstes Testament vom 9.1.1997 haben sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Durch handschriftliche Erklärung vom 26.7.2004 haben der Erblasser und seine Ehefrau Folgendes verfügt:
Zitat
1.
… (lies: Der Beteiligte zu 1.) soll die Hälfte unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
2.
… (lies: Die Beteiligte zu 3.) soll ein Viertel unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
3.
… H.R. soll ein Viertel unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
4.
Die Lebensversicherung … . auf … (lies: den Erblasser) … soll zu 100 % an … (lies: den Beteiligten zu 1.) ausgezahlt werden.
5.
Unser Urnengrab und die Grabpflege sowie die Beerdigungskosten und die Bewirtung der Trauergäste sind in gleichen Teilen von den Erben zu bezahlen.“
Beide letztwilligen Verfügungen sind auf ein und demselben Papierbogen niedergeschrieben. Als Schlusserben bedacht haben die Eheleute in ihrem gemeinschaftlichen Testament mit der Beteiligten zu 3. eine Nichte des Erblassers, mit dem Beteiligten zu 1. einen Neffen der Ehefrau des Erblassers sowie mit H.R. eine Nichte der Ehefrau des Erblassers. Die letztgenannte Miterbin ist im Jahre 2012 kinderlos vorverstorben.
Nach dem Tod seiner Ehefrau hat der Erblasser unter dem 14.12.2015 eine weitere testamentarische Verfügung getroffen. Das handschriftliche Testament lautet auszugsweise:
Zitat
Mein letzter Wille
Nach meinem Tod setze ich, …, folgende Personen als meine Erben ein:
1.
… (lies: Dem Beteiligten zu 1. und seiner Ehefrau), …, vererbe ich die Eigentumswohnung Nr. 2 und Garage Nr. 9 …
2.
… (lies: M.R.), … vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens.
3.
… vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens.
4.
… (lies: Der Beteiligten zu 3.) … vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens. Außerdem die 9 Bilder ihrer Mutter und das Bild vom S. Birdes.
5.
… vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens.
6.
… vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens.
7.
… vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens.
8.
… vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens.
9.
… vererbe ich ein Achtel meines Barvermögens.
10.
Sollte einer der vorgenannten Erben verstorben sein, wird ihr Erbe auf ihre Kinder oder ihr nächster Verwandter als Ersatzerbe übertragen.
11.
…
Der Beteiligte zu 1. hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist.
Das AG hat den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass sich die Erbfolge nach dem Einzeltestament des Erblassers vom 14.12.2015 und nicht nach der letztwilligen Verfügung der Eheleute vom 26.7.2004 richte. Denn die letztgenannte testamentarische Verfügung sei allein für den Fall getroffen worden, dass der Erblasser und seine Ehefrau zeitgleich versterben; das Testament beinhalte daher nicht die Bestimmung der Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehepartners. Außerdem sei – so das AG weiter – nicht festzustellen, dass der Erblasser und seine Ehefrau die Anordnungen vom 26.7.2004 wechselbezüglich getroffen hätten, weshalb der Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau befugt gewesen sei, abweichend zu testieren.
Gegen diese rechtliche Beurteilung wendet sich der Beteiligte zu 1. mit seiner Beschwerde. Er verfolgt seinen Erbscheinantrag weiter und bittet hilfsweise um die Erteilung eines Erbscheins, der ihn selbst und seine Ehefrau Verena als Erben ausweist.
Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, die Entscheidung über den Hilfsantrag zurückgestellt und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
(…)
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das AG hat den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1. im ...