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Ein Erbschein kann nur erteilt werden, wenn er ordnungsgemäß beantragt worden ist. Er kann auch nur so erteilt werden, wie er beantragt wurde. Stimmen Antrag und materielle Rechtslage nicht überein, ist der Antrag zu ändern oder die Erteilung abzulehnen. Dass es in der Praxis auch anders und damit falsch laufen kann, zeigt der nachfolgend besprochene Entscheidungssachverhalt eindringlich.
I. Vorbemerkung
Das OLG Celle hat einen Entscheidungsleitsatz verwendet, um deutliche Kritik zu äußern. Der erkennende Senat des OLG Celle nimmt hierbei einen, für sich genommen, nicht OLG würdigen Sachverhalt zum Anlass, um grundlegende Kritik an der Vorgehensweise der niedersächsischen Justiz zu üben.
Der niedersächsische Landesgesetzgeber hatte, wie viele Justizverwaltungen der übrigen Bundesländer ebenfalls, von der Möglichkeit in § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 RPflG Gebrauch gemacht und die funktionelle Zuständigkeit in Nachlasssachen weitgehend auf den Rechtspfleger übertragen.
II. Aussage des Leitsatzes
Ausgehend von der Zuständigkeitsübertragung in Nachlasssachen auf den Rechtspfleger, begründet der Senat des OLG Celle, dass damit:
- zu wenige Nachlassfälle von Richtern erledigt werden, sodass es diesen an Praxis fehlt;
- die Richter, die Nachlassfälle bearbeiten, zunehmend (unerfahrene) Richter auf Probe sind und
- es den bearbeitenden Richtern auf Probe an grundlegenden Kenntnissen des materiellen Erbrechts und des Verfahrensrechts fehlt, sowie dass
- diese Richter auch nicht Willens und/oder in der Lage sind, sich die scheinbar fehlenden Kenntnisse adäquat anzueignen.
Innerhalb des amtlichen Leitsatzes, mit nur einem einzigen Satz über 11 Zeilen, übt der Senat die oben genannte Kritik. Eine solche Kritik ist mutmaßlich eher politisch zu verstehen und unabhängig vom konkreten Fall zu werten. Dennoch soll auf den zugrunde liegenden Sachverhalt eingegangen werden.
III. Sachverhalt und Wertung des handschriftlichen Testaments
Ausgangspunkt ist ein handschriftliches Ehegattentestament folgenden Inhalts:
Zitat
"Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Der Erstversterbende vermacht dem überlebenden Ehegatten an seinem gesamten Nachlaß den Nießbrauch auf Lebenszeit. Der einzige Erbe nach dem Längstlebenden von uns ist unser Sohn X. Das Haus und Guthabenbeträge auf der Bank und Sparkonten vorweg erhalten soll." (sic.)
Beim Nachlassgericht gingen am 1.9. und am 8.9. Erbscheinsanträge ein. Der frühere Erbscheinsantrag der Ehefrau zielte auf Feststellung von Alleinerbfolge derselben. Der spätere Erbscheinsantrag des Sohns zielte laut Sachverhaltswiedergabe darauf, ihn als Erben
Zitat
"bezüglich des Hauses und der Guthabenbeträge bei der Bank und auf dem Sparkonto"
auszuweisen. Das Nachlassgericht informierte am 7.11. Ehefrau und Sohn über die widersprechenden Erbscheinsanträge. Anschließend einigten sich die beiden intern dahingehend, dass der Erbscheinsantrag des Sohns gelten soll und teilten dies dem Nachlassgericht am 17.11. mit.
Das Nachlassgericht erließ am 2.1. des Folgejahres einen Beschluss, nach welchem, im Hinblick auf den ersten Erbscheinsantrag der Ehefrau, die für die Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet sind und setzte gleichzeitig die Wirksamkeit des Beschlusses aus, da der Erbscheinsantrag dem Testamentsauslegungsergebnis des Nachlassgerichts widerspricht.
Nachdem keine Beschwerde einging, erließ das Nachlassgericht am 16.2. einen gemeinschaftlichen Erbschein, wonach der Erblasser durch Ehefrau und Sohn gemeinschaftlich beerbt worden ist. Erläuternd wurde im Erbschein festgehalten, dass die Ehefrau
Zitat
"den gesamten Nachlass des Erblassers beerbt, mit Ausnahme des Anteils des Erblassers hinsichtlich des Grundbesitzes sowie der Guthabenbeträge auf der Bank."
Das Grundbuchamt bat um Einziehung des falschen Erbscheins. Das Nachlassgericht, vertreten durch die gleiche Nachlassrichterin (auf Probe), zog den Erbschein ein und erließ am 28.4. einen neuen Erbschein, wonach Ehefrau und Sohn Erben je zur Hälfte sind.
Nach Beschwerde des Sohns, der die Weitergeltung des ersten Erbscheins wünschte, wurde auch der zweite Erbschein, diesmal durch einen anderen Richter (auf Probe), eingezogen und das Verfahren dem OLG vorgelegt.
Der Sachverhalt ist, wie eingangs geschrieben, nicht OLG würdig. Er ist deshalb nicht OLG würdig, da er materiell grundsätzlich nicht falsch oder richtig gelöst werden kann. Wäre es ein Sachverhalt in einer juristischen Klausur, müsste man den Studierenden bei nahezu jeder Lösung, mit Ausnahme der hier vom Nachlassgericht gefundenen Lösung(en), eine vertretbare Bewältigung der Klausur attestieren.
Das handschriftliche Testament ist inkohärent. Dies ist für handschriftliche Testamente nichts Ungewöhnliches. Insofern ist dem OLG in seiner Kritik zuzugestehen, dass es möglicherweise an Praxiserfahrungen fehlt, um damit umzugehen. Im Ansatz richtig, ist das N...