1. Unmittelbare Rechtsfolgen der Entscheidung
Grundsätzlich gilt, dass jedem EG-Recht der generelle Vorrang gegenüber jedem nationalen Recht gebührt. Hieraus folgt, dass sämtliche Gerichts- und Verwaltungsbehörden diesen Vorrang von Amts wegen zu beachten haben. Entgegenstehendes nationales Recht darf nicht angewendet werden. An seiner Stelle ist die jeweilige EG-Bestimmung unmittelbar anzuwenden, soweit sie sich hierzu eignet (Micker/Thonemann, FAErbR 2/2006, 25, 27; Beljgm, JuS 2002, 987, 990).
Sofern die Verletzung des Gemeinschaftsrechts darin besteht, dass, wie im Vorlagefall, eine Vergünstigung vorenthalten wird, hat der Bürger/Steuerpflichtige im Zweifel Anspruch darauf, dass ihm entgegen der rechtswidrigen gesetzlichen Regelung die jeweilige Vergünstigung gewährt wird; dieser Anspruch ergibt sich unmittelbar aus der verletzten Grundfreiheit (vgl. Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, § 7 Rn 23 mwN). Im Ausgangsfall kann der Kläger demzufolge damit rechnen, dass auch für den in Frankreich belegenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb die deutschen Bewertungsregeln der §§ 12 Abs. 1 ErbStG, 33 ff BewG zur Anwendung gelangen und ihm darüber hinaus die Begünstigungen für Betriebsvermögen gem. § 13 a ErbStG zu gewähren sind.
2. Folgewirkungen der Entscheidung
Die über den Einzelfall hinausgehende Kernaussage des Urteils ist eine doppelte: Zum einen wird Bewertungsdifferenzierungen zwischen in- und ausländischem Vermögen durch den EuGH endgültig ein Riegel vorgeschoben. Zum anderen stellt das Gericht klar, dass auch zwischen In- und Ausland differenzierende sachliche Steuerbefreiungen – hier § 13 a ErbStG – gegen höherrangiges EU-Recht verstoßen.
Gerade Letzteres drängt die Frage nach Folgewirkungen der Entscheidung auf: Man wird vermuten dürfen, dass auch andere sachliche Steuerbefreiungen des deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts, die auf die Inlandseigenschaft des begünstigten Vermögens abstellen, EU-rechtswidrig ausgestaltet sind. Dies gilt insbesondere für die 60%ige Befreiung von Grundbesitz, Kunstgegenständen usw., deren Erhaltung im öffentlichen Interesse ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. a) ErbStG), für die vollständige Steuerbefreiung von Grundbesitz, Kunstgegenständen usw., die darüber hinaus den Bestimmungen der Denkmalspflege unterstellt oder im Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. b) ErbStG), und für im Inland belegene Familienwohnheime (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 a ErbStG, vgl. hierzu ausführlich Micker/Thonemann, FAErbR 2/2006, 25, 27 ff).
Dem Berater in Vermögensnachfolgeangelegenheiten – ebenso wie selbstverständlich dem betroffenen Steuerpflichtigen selbst – ist jedenfalls zu raten, die Möglichkeiten, die der EuGH mit seinem Urteil vom 17. Januar 2008 eröffnet hat, zu nutzen, solange hierzu noch Gelegenheit besteht. Bis zu einer (allgemeinen) Änderung des Erbschaftsteuergesetzes und insbesondere der Bewertungsvorschriften werden Immobilien, Grundbesitz und unternehmerisches Vermögen (noch) nach eigenständigen Bestimmungen und damit in vielen Fällen privilegiert bewertet; dies gilt – wie der EuGH nun festgestellt hat – nicht nur für Inlandsvermögen, sondern auch für gleichartige Gegenstände, die sich im europäischen Ausland (Allerdings nur, soweit für dieses Ausland die Grundfreiheiten nach dem EG-Vertrag gelten, also beispielsweise nicht in der Schweiz) befinden. Soweit es sich bei dem zu übertragenden Vermögen um land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Gewerbebetriebe oder Anteile an (nicht notierten) Kapitalgesellschaften (bei einer Beteiligung von mehr als 25 %) handelt, können überdies die Begünstigungen der §§ 13 a, 19 a ErbStG in Anspruch genommen werden, sodass praktisch eine vollständige Gleichstellung mit Inlandsvermögen besteht.
Mit dem Inkrafttreten des in der Diskussion befindlichen neuen Erbschaftsteuergesetzes (vielleicht Mitte des Jahres 2008) wird sich das für Gestaltungen ideale Zeitfenster jedoch voraussichtlich wieder schließen. Denn wenn erst der gemeine Wert als oberster Wertmaßstab auch für das inländische Vermögen Gesetz geworden ist, kann in der Anlegung eben dieses Wertmaßstabes für das Auslandsvermögen keinerlei Diskriminierung mehr gesehen werden. Auslandsvermögen wird dann de lege lata nicht mehr schlechter, sondern nur ebenso schlecht behandelt werden wie Inlandsvermögen. Dies wird zwar den Steuerpflichtigen nicht gerade erfreuen, eine EU-rechtswidrige Diskriminierung kann hierin aber nicht gesehen werden.
Dr. Christopher Riedel LL.M., RA, FAStR, StB, Düsseldorf