Leitsatz
Die Art. 56 EG und 58 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, nach der bei der Berechnung der Erbschaftsteuer, die von einem Erben mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat auf Kapitalforderungen gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut geschuldet wird, die in dem anderen Mitgliedstaat entrichtete Erbschaftsteuer auf die im erstgenannten Mitgliedstaat geschuldete Erbschaftsteuer nicht angerechnet wird, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz im erstgenannten Mitgliedstaat hatte.
EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009 – C-67/08
1 Ausgangsfall und Vorlagefrage
Im Ausgangsfall der Entscheidung geht es um den Rechtsstreit zwischen der Erbin einer in Deutschland verstorbenen Person und dem Finanzamt Kaufbeuren über die Berechnung der Erbschaftsteuer auf Kapitalforderungen der Erblasserin gegen in Spanien ansässige Finanzinstitute.
Streitig ist insoweit, ob die in Spanien angefallene Erbschaftsteuer auf diese Kapitalforderungen auf die deutsche Erbschaftsteuer nach § 21 ErbStG anzurechnen ist oder nur – wie das Finanzamt meint – als Nachlassverbindlichkeit im Rahmen des § 10 Abs. 5 ErbStG abgezogen werden darf.
Da gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bei unbeschränkter persönlicher Erbschaftsteuerpflicht "der gesamte Vermögensanfall" der deutschen Besteuerung unterliegt, werden nach deutschem Recht grundsätzlich auch die bei spanischen Banken belegenen Guthaben der Erbschaftsteuer unterworfen. Eine Anrechnung der nach spanischem Recht auf dieselben Guthaben anfallenden spanischen Erbschaftsteuer kommt nur unter den Voraussetzungen des § 21 ErbStG in Betracht.
§ 21 Abs. 1 ErbStG setzten für eine Anrechnung u. a. voraus, dass die ausländische Erbschaftsteuer auf sog. "Auslandsvermögen" erhoben wird, das trotz der Auslandsvermögenseigenschaft auch in Deutschland der Besteuerung unterliegt. Als Auslandsvermögen gelten gemäß § 21 Abs. 2 ErbStG bei einem inländischen Erblasser (wie hier) "alle Vermögensgegenstände der in § 121 des Bewertungsgesetzes genannten Art [Inlandsvermögen], die auf einen ausländischen Staat entfallen ..."
Gemäß § 121 BewG gehören zum Inlandsvermögen insbesondere inländisches land- und forstwirtschaftliche Vermögen, Grundvermögen, Betriebsvermögen, Anteile an Kapitalgesellschaften, bestimmte Erfindungen, Gebrauchsmuster und Topografien sowie stille Gesellschaften und partiarische Darlehen. Ebenso zählen zum Inlandsvermögen "Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden und andere Forderungen oder Rechte, wenn sie durch inländischen Grundbesitz, durch inländische grundstücksgleiche Rechte oder durch Schiffe, die in ein inländisches Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert sind."
Nicht in der Aufzählung des § 121 BewG enthalten sind aber ungesicherte Kapitalforderungen; diese zählen gerade nicht zum Inlandsvermögen.
Der Bundesfinanzhof stellte fest, dass Ursache der Doppelbelastung die fehlende gemeinschaftliche Harmonisierung des Begriffs "Auslandsvermögen" sei, da die Bundesrepublik Deutschland bei der Erhebung der Erbschaftsteuer auf Kapitalforderungen an den Sitz des Gläubigers, das Königreich Spanien dagegen an den des Schuldners anknüpfe. Er legte daher die Frage, ob diese Doppelbelastung gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße, dem EUGH zur Entscheidung vor.
2 Inhalt der Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung verbietet Art. 56 Abs. 1 EG ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten.
Mangels einer Definition des Begriffs "Kapitalverkehr" iSd Art. 56 Abs. 1 EG im EG-Vertrag hat der EUGH bereits der Nomenklatur des Anhangs I der Richtlinie 88/361 – auch wenn diese Richtlinie auf die Art. 69 und 70 Abs. 1 EWG-Vertrag gestützt ist – Hinweischarakter zuerkannt. Er hat insoweit u. a. festgestellt, dass Erbschaften, mit denen das Vermögen eines Erblassers auf eine oder mehrere Personen übergeht, unter die Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361 mit der Überschrift "Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter" fallen und dass es sich beim Erwerb von Todes wegen grundsätzlich um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG handelt. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei dem im Ausgangsfall zugrunde liegenden Sachverhalt keineswegs um eine rein innerstaatliche Angelegenheit, sodass die Kapitalverkehrsfreiheit iSd Art. 56 Abs. 1 EG betroffen ist.
Bezüglich Erbschaften ergibt sich aus der EUGH-Rechtsprechung, dass zu den als Beschränkungen des Kapitalverkehrs nach Art. 56 Abs. 1 EG verbotenen Maßnahmen solche gehören, die eine Wertminderung des Nachlasses desjenigen bewirken, der in einem anderen Staat ansässig ist als dem Mitgliedstaat, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und in dem deren Erwerb von Todes wegen besteuert wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Zwar führt der Umstand, dass Kapitalforderungen in Deutschland kein eine Steueranrechnung ermöglichendes "Auslandsvermögen" sind, dazu, dass es im Fall von Forderungen gegen ein Finanz...