Stets ist der wirkliche Wille des Erblassers nach dem gesamten Inhalt seiner Verfügung, auch anhand außerhalb der Testamentsurkunde liegender Umstände, notfalls durch ergänzende Auslegung zu ermitteln. Wollte der Erblasser etwa ein Vermächtnis nicht neben, sondern anstelle des Pflichtteils oder nicht genau den gesetzlichen Pflichtteil, sondern ein Mehr oder Weniger oder ein Aliud zuwenden oder wollte er wie in der zitierten Entscheidung OLG Nürnberg, ZErb 2003, 161 f, den Pflichtteilsanspruch nur modifizieren,[19] liegen eindeutig (Pflichtteils-)Vermächtnisse vor.

Ergibt im Einzelfall die Auslegung einer letztwilligen Verfügung, dass die Zuwendung des Pflichtteils ein Vermächtnis ist, ist jedoch die Anwendung pflichtteilsrechtlicher Vorschriften nicht zwingend ausgeschlossen.

Es ist nach dem Erblasserwillen stets zu ermitteln, inwieweit pflichtteilsrechtliche Grundsätze anzuwenden sind, die die Vermächtnisvorschriften überlagern.[20]

So hat die Rechtsprechung dem Pflichtteilsvermächtnisnehmer einen pflichtteilsrechtlichen Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB als mitvermacht zugesprochen.[21]

Ansprüche aus einem Pflichtteilsvermächtnis sind nicht gegen den Testamentsvollstrecker, sondern gegen den Erben geltend zu machen. Im Hinblick auf § 2213 Abs. 1 Satz 3 BGB wurde das Pflichtteilsvermächtnis nicht den Vermächtnis- sondern den Pflichtteilsvorschriften unterstellt und folglich die Passivlegitimation des Testamentsvollstreckers abgelehnt.[22]

Auch das OLG Nürnberg geht davon aus, dass sich die Pflichtteilsvorschriften und die des Vermächtnisses nicht gegenseitig ausschließen müssen und Überlagerungen denkbar und möglich sind.[23]

Für sämtliche Abweichungen zwischen Pflichtteils- und Vermächtnisanspruch, auch für die Frage der Massezugehörigkeit in der Nachlassinsolvenz, nicht aber hinsichtlich der Verjährung, ist das Pflichtteilsvermächtnis daraufhin zu überprüfen, ob nach dem Erblasserwillen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz des Pflichtteils vor Beeinträchtigungen, die pflichtteilsrechtlichen Vorschriften die Vermächtnisregeln verdrängen oder überlagern,[24] inwieweit der Erblasser also pflichtteilsrechtliche Grundsätze ganz oder teilweise anwenden oder vermeiden wollte.

[19] Die angeordnete dingliche Sicherung des Pflichtteilsanspruchs beinhaltete eine zusätzliche Begünstigung des Pflichtteilsberechtigten, die dem Pflichtteilsrecht zurzeit des Erbvertragsabschlusses fremd war.
[20] Ferid NJW 60, 121, 124 ff. und jeweils zu § 2304 BGB: Damrau/Riedel/Lenz, Rn 9; Staudinger/Haas, Rn 19, 20; Soergel/Dieckmann, Rn 3; Bamberger/Roth/Mayer, Rn 5 und Müko/Lange, Rn 4.
[21] RGZ 129, 239, 242; da nach BGHZ 28, 177, der Auskunftsanspruch nicht mehr vom Pflichtteilsanspruch, sondern vom Pflichtteilsrecht abgeleitet wird, bedarf es der Konstruktion eines mitvermachten pflichtteilsrechtlichen Auskunftsanspruchs nicht mehr, wenn der Vermächtnisnehmer pflichtteilsberechtigt ist.
[22] RGZ 50, 224, 225; s. auch Gergen ZErb 06, 404, 406.
[23] ZErb 2003, 161 f; woraus allerdings die Kritik an der Auffassung abgeleitet wird, wonach es nicht auf einen Begünstigungswillen ankommt, sondern darauf, ob der Erblasser die Anwendung pflichtteilsrechtlicher Grundsätze ganz oder teilweise ausschließen wollte.
[24] Ferid NJW 1960, 121, 124 f; Staudinger/Haas, Rn 20 zu § 2304 BGB mwN.

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