In den letzten beiden Jahren wurde das Erbrecht, eine im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten wie beispielsweise dem Familien- oder dem Arbeitsrecht statische Materie, durch eine Fülle von Reformen verändert.
1. Zunächst trat zum 1.1.2009 eine Reform des Erbschafts- und Schenkungssteuerrechts in Kraft, da das BVerfG die alte Rechtslage für verfassungswidrig erklärt hatte. Dieses wurde mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, in Kraft getreten zum 1.1.2010, nochmals in Details abgeändert.
Weiter wurden mit Wirkung zum 1.1.2010 zahlreiche Änderungen im materiellen Erbrecht vorgenommen.
2. Den vorgenannten Änderungen des Erb- und Erbschaftssteuerrechts ist gemein, dass sie erhebliche materielle Neuerungen der Rechtslage herbeiführten, die eine Vielzahl von Personen und Unternehmen in ihrer Vermögenstransferplanung betrifft. Nun wird derzeit ein weiteres Reformgesetz erarbeitet, dessen praktische Auswirkungen aber nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Menschen betreffen werden, nämlich nichteheliche, vor dem 1.7.2010 geborene Kinder im Hinblick auf erbrechtliche Positionen nach dem leiblichen Vater. Die Hintergründe, die zur Gesetzesreform führen, sind aber nicht allein gewandelte gesellschaftliche Werteanschauungen, sondern eine seit nunmehr 50 Jahren bestehende verfassungswidrige Rechtslage, die aber sogar vom BVerfG mehrfach als hinnehmbar klassifiziert wurde und die nun vom EGMR mit seiner Entscheidung vom 29.5.2009 untersagt wurde.
(1) Bislang hatten Personen, die als nichteheliche Kinder vor dem 1.7.1949 geboren waren, im Hinblick auf den Vater keinerlei erbrechtliche Position nach der gesetzlichen Erbfolge, und zwar weder eine Erbenstellung noch überhaupt nur ein Pflichtteilsrecht (Art. 12, § 10 Abs. 2 Nichtehelichengesetz, folgend: NEhelG). Diese Personen galten rechtlich nicht einmal als mit dem Vater verwandt (vgl. § 1589 BGB aF, bis 1967). Die unterhaltsrechtliche Problematik der Angelegenheit soll dabei hier außen vor bleiben. Zwar waren mit dem NEhelG Personen, die ab dem 1.7.1949 unehelich geboren waren, mit einem Erbersatzanspruch (§§ 1934 a ff BGB aF, bis 1.4.1998) versehen, der hier jedoch aus Platzgründen und mangelnder Aktualität der Thematik unberücksichtigt bleiben soll.
Die nichtehelichen, vor dem 1.7.1949 geborenen Kinder blieben aber gänzlich ohne erbrechtliche Position. Ausnahmen waren nur dann gegeben, wenn sie vom Vater mit wirksamer Verfügung von Todes wegen als Erben oder Vermächtnisnehmer eingesetzt waren. Daneben gab es noch die – in der Praxis selten genutzte – Möglichkeit, dass Kind und Vater einen notariellen "Erbbeteiligungsvertrag", Art. 12, § 10 a NEhelG, schlossen, mit dem die gesetzliche Erbfolge auch auf das uneheliche Kind erstreckt wurde und dieses sodann neben den (ehelichen) Geschwistern und der Ehefrau stand. Allen diesen Möglichkeiten war gemein, dass es im Ergebnis letztlich allein vom Willen des Vaters (oder gegebenenfalls sogar auch von dessen Ehefrau, siehe nur Art. 12, § 10 a, Abs. 3 S. 1 NEhelG) abhing, ob sein nichteheliches Kind eine erbrechtliche Position erhalten sollte oder nicht.
Dies war seit Langem eine Grundlage für zahlreiche Prozesse, in denen die betroffenen Kinder versuchten, sich erbrechtliche Positionen zu erstreiten. Argumentiert wurde von ihnen vor allem mit Art. 3 GG, der eine Schlechterstellung von nichtehelichen Kindern den ehelichen Kindern gegenüber verbietet, sowie mit Art. 6 Abs. 5 GG, der explizit die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kinder fordert. Von der herrschenden Rechtsprechung wurde hiergegen mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes der Väter und deren ehelicher Abkömmlinge argumentiert, wonach diese im Hinblick auf ihr Vertrauen, ihren unehelichen Kindern (bzw. Halbgeschwistern) keine erbrechtliche Position zugestehen zu müssen, geschützt werden müssten. Der Vertrauensschutz der Väter und Halbgeschwister wurde dabei als ein höherrangiges Rechtsgut als die erbrechtliche Stellung der unehelichen Kinder erachtet. Damit wurde die offensichtliche erbrechtliche Benachteiligung von vor dem 1.7.1949 geborenen, nichtehelichen Kinder als verfassungsgemäß anerkannt über die Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund, namentlich den Vertrauensschutz der Väter, dass diese ihre unehelichen Kinder nicht am Nachlass teilhaben lassen müssten. Im Ergebnis führten daher die klare Gesetzeslage und die strenge Linie der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu einer massiven Benachteiligung der nichtehelichen, vor dem 1.7.1949 geborenen Kinder gegenüber ehelichen Kindern.
(2) Die Ungleichbehandlung dieser Kinder war also seit Jahrzehnten bekannt, gar anerkannt und wurde nur gerechtfertigt durch – nach Ansicht der bisher herrschenden Rechtsprechung – überwiegende andere verfassungsmäßig geschützte Rechtsgüter, namentlich den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Nachdem aber das BVerfG im Jahre 2003 eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hatte...