Einführung
Anlass zu diesem Aufsatz gab die vielbeachtete Entscheidung des EGMR vom 29.5.2009, Az. 3545/04, in der sich die Beschwerdeführerin gegen die Bundesrepublik Deutschland eine Entschädigung erstritt, weil ihr als nicht ehelicher vor dem 1.7.1949 geborener Tochter eine Erbenposition und auch ein Pflichtteilsrecht nach dem Vater abgesprochen wurde. Beachtlich ist dabei die Tatsache, dass nichtehelichen Kindern wie der Beschwerdeführerin nach dem deutschen Erbrecht bislang keinerlei erbrechtliche Positionen zugestanden wurden. In der Vergangenheit hatten zahllose Betroffene versucht, hiergegen gerichtlich vorzugehen, waren aber seit den 1950er Jahren (!) regelmäßig und wiederholt vor dem BVerfG gescheitert. Dieses hatte eine Ungleichbehandlung erkannt, aber diese durch überwiegende Interessen der Väter gerechtfertigt. Dieser unbefriedigenden Situation wurde nun durch den EGMR endgültig abgeholfen. Dieser klassifizierte die deutschen gesetzlichen Regelungen und auch die deutsche Rechtsprechung als gegen Art. 8 und 14 EMRK verstoßend und als nicht mehr zeitgemäß. Nunmehr findet derzeit eine Gesetzesreform statt. Zum 25.2.2011 passierte der aktuelle Gesetzesentwurf den Bundestag. Die Zustimmung des Bundesrates steht noch aus und wird für Sommer 2011 erwartet.
I. Hintergrund der aktuellen Diskussion und Grundlage der aktuellen Gesetzgebungsaktivitäten
In den letzten beiden Jahren wurde das Erbrecht, eine im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten wie beispielsweise dem Familien- oder dem Arbeitsrecht statische Materie, durch eine Fülle von Reformen verändert.
1. Zunächst trat zum 1.1.2009 eine Reform des Erbschafts- und Schenkungssteuerrechts in Kraft, da das BVerfG die alte Rechtslage für verfassungswidrig erklärt hatte. Dieses wurde mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, in Kraft getreten zum 1.1.2010, nochmals in Details abgeändert.
Weiter wurden mit Wirkung zum 1.1.2010 zahlreiche Änderungen im materiellen Erbrecht vorgenommen.
2. Den vorgenannten Änderungen des Erb- und Erbschaftssteuerrechts ist gemein, dass sie erhebliche materielle Neuerungen der Rechtslage herbeiführten, die eine Vielzahl von Personen und Unternehmen in ihrer Vermögenstransferplanung betrifft. Nun wird derzeit ein weiteres Reformgesetz erarbeitet, dessen praktische Auswirkungen aber nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Menschen betreffen werden, nämlich nichteheliche, vor dem 1.7.2010 geborene Kinder im Hinblick auf erbrechtliche Positionen nach dem leiblichen Vater. Die Hintergründe, die zur Gesetzesreform führen, sind aber nicht allein gewandelte gesellschaftliche Werteanschauungen, sondern eine seit nunmehr 50 Jahren bestehende verfassungswidrige Rechtslage, die aber sogar vom BVerfG mehrfach als hinnehmbar klassifiziert wurde und die nun vom EGMR mit seiner Entscheidung vom 29.5.2009 untersagt wurde.
(1) Bislang hatten Personen, die als nichteheliche Kinder vor dem 1.7.1949 geboren waren, im Hinblick auf den Vater keinerlei erbrechtliche Position nach der gesetzlichen Erbfolge, und zwar weder eine Erbenstellung noch überhaupt nur ein Pflichtteilsrecht (Art. 12, § 10 Abs. 2 Nichtehelichengesetz, folgend: NEhelG). Diese Personen galten rechtlich nicht einmal als mit dem Vater verwandt (vgl. § 1589 BGB aF, bis 1967). Die unterhaltsrechtliche Problematik der Angelegenheit soll dabei hier außen vor bleiben. Zwar waren mit dem NEhelG Personen, die ab dem 1.7.1949 unehelich geboren waren, mit einem Erbersatzanspruch (§§ 1934 a ff BGB aF, bis 1.4.1998) versehen, der hier jedoch aus Platzgründen und mangelnder Aktualität der Thematik unberücksichtigt bleiben soll.
Die nichtehelichen, vor dem 1.7.1949 geborenen Kinder blieben aber gänzlich ohne erbrechtliche Position. Ausnahmen waren nur dann gegeben, wenn sie vom Vater mit wirksamer Verfügung von Todes wegen als Erben oder Vermächtnisnehmer eingesetzt waren. Daneben gab es noch die – in der Praxis selten genutzte – Möglichkeit, dass Kind und Vater einen notariellen "Erbbeteiligungsvertrag", Art. 12, § 10 a NEhelG, schlossen, mit dem die gesetzliche Erbfolge auch auf das uneheliche Kind erstreckt wurde und dieses sodann neben den (ehelichen) Geschwistern und der Ehefrau stand. Allen diesen Möglichkeiten war gemein, dass es im Ergebnis letztlich allein vom Willen des Vaters (oder gegebenenfalls sogar auch von dessen Ehefrau, siehe nur Art. 12, § 10 a, Abs. 3 S. 1 NEhelG) abhing, ob sein nichteheliches Kind eine erbrechtliche Position erhalten sollte oder nicht.
Dies war seit Langem eine Grundlage für zahlreiche Prozesse, in denen die betroffenen Kinder versuchten, sich erbrechtliche Positionen zu erstreiten. Argumentiert wurde von ihnen vor allem mit Art. 3 GG, der eine Schlechterstellung von nichtehelichen Kindern den ehelichen Kindern gegenüber verbietet, sowie mit Art. 6 Abs. 5 GG, der explizit die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kinder fordert. Von der herrschenden Rechtsprechung wurde hiergegen mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes der Väter und deren ehelicher Abkömmlinge argumentiert, wonach diese...