Leitsatz
Eine Einsetzung als Schlusserbe entfällt, wenn der in einem Ehegattentestament zum Schlusserben eingesetzte Abkömmling nach dem ersten Todesfall trotz testamentarisch vorgesehener Verwirkungsklausel den Pflichtteil verlangt. Es gilt dann die Anwachsung gemäß § 2094 BGB als gewollt.
OLG Hamm, Beschl. v. 27.1.2021 – 10 W 71/20
1 Tatbestand
I.
Die Erblasserin war in einziger Ehe verheiratet mit Herrn K I. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, der Beteiligte zu 2) und Frau D Q, die Ehefrau des Beteiligten zu 1) und Mutter des am 0.0.1990 geborenen Beteiligten zu 3).
Die Erblasserin und ihr Ehemann errichteten am 14.4.1997 ein gemeinsames handschriftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und weitere Verfügungen zugunsten ihrer Kinder trafen. Am 26.6.2007 fügten sie auf derselben Urkunde einen Nachtrag hinzu, in dem der Ehemann der Erblasserin anordnete: "Die Aktien von V Investmentfond soll mein Enkel T Q, geb. am 0.0.1990 nach meinem Tode erhalten. Sollte ich zu diesem Zeitpunkt noch eine Segelyacht besitzen erhält T das Boot." Die Erblasserin erklärte sich damit einverstanden.
Am 26.10.2012 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann eine weitere gemeinschaftliche letztwillige Verfügung, die nahezu dieselben Anordnungen enthält, wie das Testament vom 14.4.1997. Darin heißt es:
"Wir … bestimmen für den Fall unseres Ablebens. K I setzt für den Fall, dass er zuerst stirbt, K1 I als Alleinerbin ein. K1 I setzt für den Fall ihres Todes K zu ihrem Alleinerben ein. Sollt eines unserer Kinder diesen unseren gemeinsamen letzten Willen nicht anerkennen, bekommt es nur seinen Pflichtteil. Unser Haus … , T1 E bekommt unsere Tochter D Q, geb. I, geb. 0.0.1962 und nach ihrem Tod ihr Sohn T Q, geb. 0.0.1990. Das Haus in I1 Gstr. 00 bekommt unser Sohn S I, geb. 0.0.1959"
Die Eheleute I lebten bereits viele Jahre vor ihrem Tod voneinander getrennt. Während der Ehemann in der Immobilie in I1 wohnte, lebte die Erblasserin zusammen mit ihrer Tochter und den Beteiligten zu 1) und 3) in dem Haus in T1-E. Der Ehemann der Erblasserin wurde von dem Beteiligten zu 3) ermordet und zwischen dem 8.2.2016 und dem 13.2.2016 tot aufgefunden. Dafür wurde der Beteiligte zu 3) durch das Landgericht Dortmund zu lebenslanger Haft verurteilt, die er in der JVA X verbüßt. Mit notarieller Urkunde vom 18.2.2016 erteilte die Erblasserin ihrer Tochter eine Generalvollmacht. Der Beteiligte zu 2) regte am 18.7.2016 die Einrichtung einer Betreuung für die Erblasserin an, da diese unter einer dementiellen Entwicklung litt. Am 11.8.2016 erteilte das Amtsgericht Hamm der Erblasserin einen Alleinerbschein nach ihrem verstorbenen Ehemann. In dem voraufgegangenen Erbscheinsverfahren hatte der Beteiligte zu 2) die Rechtsauffassung vorgetragen, die letztwillige Verfügung sei in dem Sinne auszulegen, dass Vor- und Nacherbschaft gewollt gewesen sei. In dem am 30.6.2016 erlassenen Feststellungsbeschluss hatte das Amtsgericht ausgeführt, dass Anhaltspunkte dafür, dass anstelle einer wechselseitigen Einsetzung als Vollerben die Einsetzung als Vorerben gewollt gewesen sei, nicht erkennbar seien. Am 9.11.2016 verstarb die Tochter D Q. Nach dem Tod seiner Ehefrau forderte der Beteiligte zu 1) in eigenem Namen und im Namen des Beteiligten zu 3) als deren Erben die Erblasserin auf, den Pflichtteil aufgrund des Erbfalls nach dem Tod des Ehemannes zu zahlen. Am 25.11.2016 erteilte die Erblasserin dem Beteiligten zu 1) eine notarielle Generalvollmacht zur Vertretung in allen vermögensrechtlichen und persönlichen Angelegenheiten. Mit Beschl. v. 17.11.2017 richtete das Amtsgericht Soest, gestützt auf ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten vom 6.3.2017 eine Betreuung für die Erblasserin ein und bestellte einen Berufsbetreuer. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 5.4.2018 zurückgewiesen, wobei das Landgericht feststellte, dass die erteilte Generalvollmacht mangels Geschäftsfähigkeit der Erblasserin unwirksam war.
Die Erblasserin errichtete am 25.11.2016 vor dem Notar D1 aus T1 ein notarielles Testament. Darin setzte sie ihren Schwiegersohn, den Beteiligten zu 1) zu ihrem Alleinerben ein. Weiterhin ordnete sie Vermächtnisses zugunsten der Beteiligten zu 2) und 3) an.
Der Beteiligte zu 1) hat einen Alleinerbschein aufgrund des notariellen Testaments vom 25.11.2016 beantragt. Der Beteiligte zu 2) hat gestützt auf das gemeinschaftliche Testament vom 26.1.2012 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben der Erblasserin ausweist.
Der Beteiligte zu 1) hat vorgetragen, Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin bestünden nicht, da der beurkundende Notar die Testierfähigkeit ausdrücklich bejaht habe. Die Erblasserin sei durch das gemeinschaftliche Testament nicht gehindert gewesen, durch Einzeltestament einen Alleinerben zu bestimmen, da das gemeinschaftliche Testament keine Schlusserbeneinsetzung enthalte. In dem Einzeltestament seien Vermächtnisse angeordnet worden, so dass d...