Die Reform 2023 will Schutz vor Vollmachtmissbrauch durch gesetzliche Beschränkungen vertraglicher Betreuungsmacht sowie durch das teilweise neu gestaltete Institut der Kontrollbetreuung gewährleisten.
a. Beschränkung vertraglicher Betreuungsmacht
Die "möglichst umfassende Gewährung von Selbstbestimmung" bei der Gestaltung der Vorsorgevollmacht und der Auswahl des Bevollmächtigten ist ein Credo des Reformgesetzgebers. Allerdings hat er dabei zur Privatautonomie ein durchaus ambivalentes Verhältnis: Im Gegensatz zur Gestaltungsfreiheit, die auch bei (Selbst-)Gefährdung vulnerabler Menschen noch (nahezu) schrankenlos sein soll, wird die Auswahlfreiheit der Vollmachtgeber weiter eingeschränkt:
Künftig kann der Betroffene die ihm herzlich verbundene Pflegekraft eines Pflegedienstes auch dann nicht bevollmächtigen, wenn er noch zu Hause lebt und dort ambulant versorgt wird; bisher galt diese Einschränkung nur, wenn der Vollmachtgeber bereits in einem Heim lebte. Der Gesetzgeber will Interessenkollisionen verhindern, die sich bei stationärer und ambulanter Versorgung gleichermaßen ergeben können.
Soweit, so einleuchtend – aber: Bei der Analyse möglicher Interessenkollisionen fokussiert sich die Reform 2023 auf unselbstständige Pflegekräfte/Personen sowie auf einen sehr beschränkten Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit: In den Blick genommen wird der Fall, dass ein drittabhängiger Vollmachtnehmer die von ihm selbst bzw. für seinen Arbeitgeber erbrachte Versorgungsleistung "nicht mit der gebotenen Sorgfalt" kontrolliert. Für diesen Fall soll das Gericht durch die Bestellung eines gesetzlichen Betreuers "einen gegebenenfalls drohenden Missbrauch der Vollmacht von vornherein verhindern (können)."
Und was ist – so fragt sich der verblüffte Leser – mit der selbstständigen Pflegerin, der Friseurin oder dem Physiotherapeuten, die allesamt ins Haus kommen und in vielen Fällen der einzige Sozialkontakt sind, den die 5,9 Mio. allein lebenden Senioren noch haben? Besteht nicht auch – und vielleicht gerade – hier jene Missbrauchsgefahr, die der Gesetzgeber selbst beschrieben hat: Erschleichen der Vollmacht durch Ausnutzung von Abhängigkeit oder Hilflosigkeit? Man denkt an den "Friedhelm-Fall", den der Erfahrungsbericht aus der Praxis so eindringlich schildert.
Kann es wirklich so sein – und vor allem – so bleiben, dass gerade für diesen Fall im "Graubereich" zwischen den Konstellationen 2 und 3 ein gesetzliches Schutzkonzept ausbleibt?
Die Frage stellen heißt, sie verneinen!
b. Kontrollbetreuung
Im Mittelpunkt der "wenigen normativen Grundregelungen" zum Missbrauchsschutz steht das neu gestaltete Institut der Kontrollbetreuung. Die Reform 2023 will hiermit dem Umstand Rechnung tragen, dass ein Bevollmächtigter grundsätzlich nicht der Aufsicht durch das Betreuungsgericht unterliegt, weshalb ein erhebliches Missbrauchsrisiko besteht. Um diesem Risiko zu begegnen, soll das Gericht einem Kontrollbetreuer insbesondere Befugnisse zur Geltendmachung von
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Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten, |
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Auskunfts- und Rechenschaftsansprüchen des Betreuten gegenüber Dritten |
übertragen können. Für nähere Erläuterungen zu diesen Aufgabenbereichen kann auf die allgemeine Literatur verwiesen werden. An dieser Stelle geht es darum, den Zusammenhang des Instruments mit dem dogmatischen Ansatz des Reformgesetzgebers aufzuzeigen.
Voraussetzungen
Die Kontrollbetreuung war bisher nur als Möglichkeit ausgestaltet. Mit der Reform 2023 sollen "die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kontrollbetreuers gesetzlich normiert werden." Ausgangspunkt hierfür ist die oben als Konstellation 3 beschriebene Lage eines Vollmachtgebers, dessen mentale Einschränkung soweit fortgeschritten ist, dass er seinen Bevollmächtigten nicht mehr selbst überwachen und steuern kann.
Allein die Unfähigkeit des Betroffenen reicht für die Bestellung eines Kontrollbetreuers allerdings nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass der Bevollmächtigte die Vollmacht in "einer unzureichenden, fehlerhaften oder missbräuchlichen" Weise ausübt.
Dabei wirkt sich aus, dass die Reform 2023 einen Paradigmenwechsel vorgenommen hat: Nicht mehr objektive Kriterien, sondern "die Geltung einer konsequent subjektiven Sichtweise des Betreuten" sollen künftig auch für die Notwendigkeit einer Kontrollbetreuung der Maßstab sein. Anders als bisher wird die Geltung dieses Maßstabs nicht mehr durch das wohlverstandene Interesse des Betroffenen in’seiner objektiv beurteilten Lage, die sog. Wohlschranke, begrenzt.
Unter diesen Umständen ist das Gericht verpflichtet, aber auch darauf ...