Die "möglichst umfassende Gewährung von Selbstbestimmung"[97] bei der Gestaltung der Vorsorgevollmacht und der Auswahl des Bevollmächtigten ist ein Credo des Reformgesetzgebers. Allerdings hat er dabei zur Privatautonomie ein durchaus ambivalentes Verhältnis: Im Gegensatz zur Gestaltungsfreiheit, die auch bei (Selbst-)Gefährdung vulnerabler Menschen noch (nahezu) schrankenlos sein soll,[98] wird die Auswahlfreiheit der Vollmachtgeber weiter eingeschränkt[99]:

Künftig kann der Betroffene die ihm herzlich verbundene Pflegekraft eines Pflegedienstes auch dann nicht bevollmächtigen, wenn er noch zu Hause lebt und dort ambulant versorgt wird;[100] bisher galt diese Einschränkung nur, wenn der Vollmachtgeber bereits in einem Heim lebte.[101] Der Gesetzgeber will Interessenkollisionen verhindern, die sich bei stationärer und ambulanter Versorgung gleichermaßen ergeben können.

Soweit, so einleuchtend – aber: Bei der Analyse möglicher Interessenkollisionen fokussiert sich die Reform 2023 auf unselbstständige Pflegekräfte/Personen sowie auf einen sehr beschränkten Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit: In den Blick genommen wird der Fall, dass ein drittabhängiger Vollmachtnehmer die von ihm selbst bzw. für seinen Arbeitgeber erbrachte Versorgungsleistung "nicht mit der gebotenen Sorgfalt" kontrolliert.[102] Für diesen Fall soll das Gericht durch die Bestellung eines gesetzlichen Betreuers "einen gegebenenfalls drohenden Missbrauch der Vollmacht von vornherein verhindern (können)."[103]

Und was ist – so fragt sich der verblüffte Leser – mit der selbstständigen Pflegerin, der Friseurin oder dem Physiotherapeuten, die allesamt ins Haus kommen und in vielen Fällen der einzige Sozialkontakt sind, den die 5,9 Mio. allein lebenden Senioren[104] noch haben? Besteht nicht auch – und vielleicht gerade – hier jene Missbrauchsgefahr, die der Gesetzgeber selbst beschrieben hat: Erschleichen der Vollmacht durch Ausnutzung von Abhängigkeit oder Hilflosigkeit?[105] Man denkt an den "Friedhelm-Fall", den der Erfahrungsbericht aus der Praxis so eindringlich schildert.[106]

Kann es wirklich so sein – und vor allem – so bleiben, dass gerade für diesen Fall im "Graubereich" zwischen den Konstellationen 2 und 3[107] ein gesetzliches Schutzkonzept ausbleibt?

Die Frage stellen heißt, sie verneinen![108]

[97] BT-Drucks 19/24445, 244.
[98] BT-Drucks 19/24445, 244.
[99] BT-Drucks 19/24445, 238.
[101] § 1897 Abs. 3 BGB a.F.
[102] BT-Drucks 19/24445, 240.
[103] BT-Drucks 19/24445, 233.
[104] Vgl. oben.
[105] BT-Drucks 19/24445, 245 – vgl. oben.
[106] Mau, ZErb 2023, 1, 4.
[107] Vgl. oben.
[108] Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 30 Abs. 1 BtOG.

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