Der Reform 2023 liegt das Bestreben zugrunde, die "privatautonome Rechtsfürsorge"[143] zu fördern. In diesem Sinne soll die gesetzliche Betreuung eher hilfsweise an die Stelle der grundsätzlich vorrangigen Vorsorgevollmacht[144] treten.

Dieser Ansatz ist unbedenklich, wenn in beiden Systemen gleiche Schutzstandards gegen den Missbrauch vertraglich bzw. gesetzlich übertragener Betreuungsmacht gewährleistet werden. Voraussetzung hierfür sind die dogmatische Durchdringung und zielgerichtete Ausgestaltung der Vorsorgevollmacht sowie des zugrundeliegenden Vertragsverhältnisses (Vorsorgeverhältnisses).

Obwohl der Gesetzgeber diesen Zusammenhang klar erkennt, sind die Vorsorgevollmacht und die damit verbundenen Gefahren[145] bei der Reform 2023 für ihn "kein zentrales Thema".[146] Infolgedessen werden die spezifischen Risiken der Vertragsbetreuung weitgehend ausgeblendet und durch "lediglich einige wenige normative Grundregelungen"[147] abgehandelt.

Die Reform 2023 ist so konstruiert, dass staatlichen Missbrauchsschutz in Vermögensangelegenheiten (weitgehend) verliert, wer sich für die Vorsorgevollmacht entscheidet.

In struktureller Ungleichheit vor dem Gesetz wird Vollmachtgebern eine Risikoakzeptanz zugemutet, die bei der Begegnung mit der Wirklichkeit gravierende Folgen haben dürfte. Zwar kann man glücklicherweise davon ausgehen, dass nicht jedes Vorsorgeverhältnis notleidend wird. Aber: Obwohl auch die meisten Verbraucherverträge reibungslos "funktionieren",[148] hat der Gesetzgeber hierfür spezifische Regeln entwickelt[149] und Sorge getragen, dass ausnahmslos alle Verbraucher[150] und nicht nur ein Teil von ihnen gegen den Missbrauch von Machtpositionen den vollen Schutz des Gesetzes genießen. Sind Vorsorgevollmachten weniger missbrauchsgefährdet als Verbraucherverträge? Mental eingeschränkte Senioren weniger schutzbedürftig als unerfahrene Verbraucher?

[143] BT-Drucks 19/24445, 244.
[144] A.a.O.
[145] Vgl. BT-Drucks 19/24445, 244.
[146] BT-Drucks 19/24445, 150.
[147] A.a.O.
[148] Müller-Engels, FamRZ 2021, 645, 646.
[149] Vgl. nur § 310 Abs. 3 BGB.
[150] § 13 BGB.

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