Gute Gesetze bestehen vor der Wirklichkeit: Sie gehen aus einem Rechtsetzungskreislauf[151] hervor, der ihre Evaluierung einschließt. Ein Gesetz, das sich bei der Begegnung mit der Wirklichkeit als unzulänglich erweist, bedarf der Novellierung. Dementsprechend sieht auch die Reform 2023 eine Untersuchung dazu vor, ob die von ihr "beabsichtigten Wirkungen auf die Anwendungspraxis erreicht wurden."[152]

Aber: Anders als zu erwarten, beschränken sich das Evaluierungsinteresse und der Evaluierungsauftrag des Reformgesetzgebers auf Organisations- bzw. Verfahrensregelungen sowie auf’Vorschriften zur Ehegattenvertretung.[153] Die Vorsorgevollmacht wird mit keinem Wort erwähnt: Ausgerechnet "das wichtigste Instrument privater Vorsorge"[154] soll von der Wirkungskontrolle ausgenommen bleiben.

Wie ist diese legislatorische Abstinenz zu erklären, da der Gesetzgeber das Instrument doch fortentwickeln will, "sofern sich in der Rechtspraxis hierfür ein Bedarf zeigt"?[155] Wie soll sich Bedarf zeigen, wenn die Vorsorgevollmacht von Evaluierung ausgeschlossen bleibt, obwohl sie "die Gefahr des Missbrauchs in sich birgt"[156] und "in der Praxis gewisse praktische Probleme hinsichtlich der Wirksamkeit und Akzeptanz von Vorsorgevollmachten auftreten"?[157]

Scheut die Reform 2023 den Belastungstest?

[151] Vgl. Nationaler Normenkontrollrat (NKR), Jahresbericht 2017, S. 23, https://www.normenkontrollrat.bund.de/nkr-de (Aufruf: 5.1.2023).
[152] BT-Drucks 19/24445, 176.
[153] Vgl. BT-Drucks 19/24445, 176 f.
[154] BT-Drucks 19/24445, 434.
[155] BT-Drucks 19/24445, 150.
[156] BT-Drucks 19/24445, 244.
[157] BT-Drucks 19/24445, 150.

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