Die Reform 2023 ordnet die Vorsorgevollmacht unter §§ 164 ff. BGB ein und behandelt die zugrunde liegende "Vereinbarung" als "Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis" nach §§ 662 ff; 675 BGB.
Bei diesem dogmatischen Ansatz nicht weiter thematisiert werden u.a.
▪ |
die Grundstruktur des BGB, das den kognitiv uneingeschränkten Menschen voraussetzt, weshalb Vollmacht und Auftrag rechtswirksam nicht erteilen kann, wer von einem dauerhaften Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit betroffen ist, |
▪ |
die eigene Einsicht des Reformgesetzgebers, wonach
▪ |
die Vorsorgevollmacht "die Gefahr des Missbrauchs birgt, da die Kontrolle des Bevollmächtigten begrenzt ist", |
▪ |
die "Abwendung von Gefahren im Falle eines feststellbaren Schutzbedarfs zwingend geboten ist." |
|
Ein wirklich gutes Gefühl kann bei alledem wohl nicht bestanden haben, verkennt doch die Reform 2023 durchaus nicht "den engen Zusammenhang dieses Themas mit allgemeinen zivilrechtlichen Fragen, aber auch mit potentiellen strafrechtlichen Maßnahmen." Wohl deshalb fließt in die Gesetzesbegründung eine salvatorische Klausel ein. Hiernach sollen die Neuregelungen zur Vorsorgevollmacht eine "Ausgangslage bieten, dieses Rechtsinstrument in den nächsten Jahren fortzuentwickeln" – allerdings nur, "sofern sich in der Rechtspraxis hierfür ein Bedarf zeigt." Von "einer detaillierteren Betrachtung" will sich der Reformgesetzgeber jedoch freigezeichnet wissen, u.a. mit Hinweis auf seinen – selbst gesetzten – "straffen Zeitplan".
1. Die Vorsorgevollmacht
Dabei trifft die Reform 2023 im "wirklichen Leben" auf Menschen, die
▪ |
schon bei erstmaliger Erteilung einer Vorsorgevollmacht mental eingeschränkt sind, ohne dass ihr Zustand erkannt wird (Konstellation 1), |
▪ |
im (fortdauernden) Zustand unerkannter Einschränkung eine Erstvollmacht widerrufen und eine Zweitvollmacht erteilen (Konstellation 2), |
▪ |
infolge schleichend eintretender Handlungs- und Geschäftsunfähigkeit ihre Rechte gegenüber dem Bevollmächtigten nicht ausüben können (Konstellation 3). |
Ob der Reformgesetzgeber diese Konstellationen wahrgenommen hat, lassen die Materialien nicht genau erkennen. Belegt ist nur, dass 5,7 Mio. registrierter plus x Mio. nicht eingetragener Vorsorgevollmachten bei der Konzeptionierung der Reform 2023 "kein zentrales Thema" waren.
Immerhin werden im Gesetzentwurf
▪ |
das Erschleichen der Vollmacht durch Ausnutzung von Abhängigkeit oder Hilflosigkeit, |
▪ |
die abredewidrige Ausübung der Vollmacht |
als manifeste Missbrauchsformen zutreffend beschrieben. Das legislatorische Schutzkonzept hiergegen beschränkt sich allerdings auf "einige wenige normative Grundregelungen zur Vorsorgevollmacht" bei gleichzeitigem Verzicht auf jegliche Ausgestaltung der zugrunde liegenden "Vereinbarung".
2. Verzicht auf eine Legaldefinition
Ausgehend von der dogmatischen Einordnung unter §§ 164 ff. BGB hält die Reform eine Legaldefinition der Vorsorgevollmacht für entbehrlich; ebenso Wirksamkeitsvoraussetzungen wie etwa Form- oder Beratungserfordernisse.
Der erst auf Vorhalt des Bundesrats begründete Verzicht auf eine gesetzliche Begriffsbestimmung der Vorsorgevollmacht irritiert schon deshalb, weil der Reformgesetzgeber die bewährte Technik der Legaldefinition in anderem Zusammenhang gleich mehrfach anwendet – so z.B. für den rechtlichen Betreuer oder für den Kontrollbetreuer – und das aus jeweils guten Gründen. Ausgerechnet für "das wichtigste Instrument privater Vorsorge" sollen diese guten Gründe allerdings nicht greifen, obwohl der Begriff für § 1820 BGB als Überschrift und bei § 20a BeurkG sowie bei § 78a BNotO als Tatbestandsmerkmal eingesetzt wird; bei den §§ 6, 15 BtOG steht er sogar in Beziehung zur Vergabe öffentlicher Finanzmittel. Zu Normenklarheit dürfte diese Gesetzgebungstechnik schwerlich beitragen, was umso mehr überrascht, als es ausdrücklich erklärtes Ziel der Reform ist, Unübersichtlichkeit und daraus entstehende Rechtsanwendungsprobleme zu beseitigen.
3. Verzicht auf Form- und Wirksamkeitsvoraussetzungen
Bei ihrem konzeptionellen Verzicht auf Form- bzw. Wirksamkeitsvoraussetzungen folgt die Reform 2023 einem "Ja-aber-Prinzip". Kundige Menschen, die "an der Vorbereitung und Erarbeitung des Reformgesetzes aktiv beteiligt waren", lassen dieses "Ja-aber-Prinzip" deutlich werden:
Ja: "Zur Wirks...