Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass Erbschaften in nachrangig ausgestalteten Sozialleistungsgesetzen nicht gleichbehandelt bzw. berücksichtigt werden. Die Unterschiede sind selbst für eine juristisch ausgebildete Person schwerlich bis gar nicht nachzuvollziehen bzw. nicht mehr zu verstehen. Mit überzeugenden Gründen für eine solche Differenzierung hält sich der Gesetzgeber auch vollständig zurück.
Das Bürgergeldgesetz reiht sich damit nahtlos in eine Kette von Gesetzen ein, die mit einer immer weiter fortschreitenden Differenzierung den Umgang mit Zuflüssen aus Erbfall nicht besser machen. Deutlich wurde das z.B. im Jahr 2016, als der Gesetzgeber die Herausnahme von "Zuflüssen in Geldeswert" aus der Einkommensdefinition des § 11 SGB II u.a. mit der Begründung legitimierte:
Zitat
"Zudem ist die Berücksichtigung von Sachwerten als Einkommen unbillig, wenn der gleiche Gegenstand, wäre er bereits bei Antragstellung vorhanden gewesen, nicht als Vermögen zu berücksichtigen gewesen wäre."
Warum dieses Argument nicht auch im SGB XII greift, wurde damals nicht thematisiert und ist bis heute nicht deutlich.
Zuletzt war es die Änderung der Eingliederungshilfe durch das 2020 in Kraft getretene Bundesteilhabegesetz, die erhebliche – nicht weitergehend begründete – Ungleichbehandlungen bei der Einkommens- und Vermögensverschonung offenbarte. Bis dahin war die Eingliederungshilfe in §§ 53 ff. SGB XII geregelt und der Bedürftige und seine Einsatzgemeinschaft unterfielen damit – auch bei Zuflüssen aus Erbfall und Schenkung – den Einkommens- und Vermögenseinsatz- und -verschonungsregeln des SGB XII.
Seit der Ausgliederung der Eingliederungshilfe in die §§ 90 ff. SGB IX stellt ein erbrechtlicher oder schenkungsrechtlicher Zufluss im Bedarfszeitraum plötzlich kein Einkommen (§§ 82 ff. SGB XII) mehr dar. Ein Kostenbeitrag des Bedürftigen zu Eingliederungshilfemaßnahmen i.S.v. § 137 SGB IX wird daraus nicht errechnet, weil z.B. eine Erbschaft, ein Vermächtnis oder eine Schenkung kein Einkommen i.S.d. nunmehr geltenden Einkommensanrechnungsvorschrift des § 2 Abs. 2 EStG sind. Erbschaften und andere erbrechtliche Zuflüsse sind in der Eingliederungshilfe nunmehr Vermögen.
Der Vermögensschonbetrag in § 139 SGB IX wurde gegenüber dem SGB XII auf 150 % der Bezugsgröße des § 18 SGB IV angehoben. Seit 1.1.2023 stehen für Menschen, die sowohl die existenziellen Leistungen des SGB XII benötigen als auch Maßnahmen der Eingliederungshilfe, zwar 61.110 EUR im SGB IX und 10.000 EUR im SGB XII als Vermögensschonbetrag auf dem Papier.
Hinweis
Die unterschiedlichen Schongrenzen, die für Deutschland (West) und Deutschland (Ost) in § 139 SGB IX galten, wurden jetzt aufgegeben.
Auf dem Papier stehen diese Beträge aber deshalb, weil erbrechtlich Begünstigte, die nur Eingliederungshilfe benötigen, von dem deutlich erhöhten Vermögensschonbetrag des § 139 SGB IX partizipieren können.
Begünstigte, die Grundsicherung nach § 41 ff. SGB XII als existenzielle Leistung benötigen und zusätzlich Eingliederungshilfe als Maßnahmeleistung, partizipieren dagegen nicht, weil sie den an sich geschonten Betrag von 61.110 EUR bis auf 10.000 EUR nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII angreifen müssen. Die beabsichtigte Förderung und Begünstigung von Menschen mit Behinderung lösen sich in Luft auf. Die Rechtsprechung macht bisher keine Anstalten, etwa über § 90 Abs. 3 SGB XII im Wege der Härte zu helfen.
Noch weniger einsichtig ist, dass Menschen, die nur Hilfe zur Pflege benötigen (§§ 61 ff. SGB XII), und Menschen, die Eingliederungshilfe benötigen, von vorneherein hinsichtlich der Einkommensberücksichtigung und der Vermögensverschonung ungleich behandelt werden. Der Bezieher von Hilfe zur Pflege hat ebenfalls nur einen Vermögensschonbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII von jetzt 10.000 EUR.
Hinweis
Wem in der Hochzeit von Corona Mittel zuflossen, insbesondere als Erbe, Vermächtnisnehmer etc., war von diesen Differenzierungen erstaunlicherweise nicht tangiert, denn in ganz besonders schlechten Zeiten hatte der Gesetzgeber für das SGB II in § 67 SGB II und für das SGB XII in § 147 SGB XII großzügige Ausnahmetatbestände für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1.3.2020 bis 31.3.2022 begannen, geschaffen. Für die ersten sechs Monate des erfassten Bewilligungszeitraums wurde Vermögen nicht berücksichtigt, wenn es nicht erheblich war. Nicht erheblich war ein Vermögen bis zu 60.000 EUR. Maßgeblich war der Beginn des Leistungszeitraums; dabei war unerheblich, ob es sich um einen Folgeantrag handelte.
Die vorstehend dargestellte unterschiedliche Ausgestaltung des Nachranggrundsatzes in den Sozialleistungsgesetzen – so wie sie auch jetzt wieder im neuen Bürgergeldgesetz stattfindet – findet in der Praxis zunehmend weniger Akzeptanz und wird z.T. aus unterschiedlichen rechtlichen Lagern deutlich kritisiert. Eine Tendenz, die zunehmende Ausweitung der Einkommens- und Vermögensschontatbestände zurückzudrängen, wird erkennbar.
Dabei richtet sich die Kritik an der stetig ausgewe...