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Reinhard Zimmermann, zwischenzeitlich emeritierter Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, hat mit seiner Arbeitsgruppe einen radikalen Reformvorschlag zur Abschaffung des Pflichtteilsrechts in seiner jetzigen Form vorgelegt. Stattdessen sollen künftig nur Angehörigen, die einen Unterhaltsbedarf haben, zwingende Ansprüche zustehen. Diese sollen dann aber passiv vererblich sein, also auf die Erben als Verbindlichkeit übergehen. Der Beitrag stellt den im Einzelnen als Gesetzestext ausformulierten Vorschlag vor und diskutiert diesen kritisch.
1. Das Pflichtteilsrecht de lege lata
Der Pflichtteil kommt recht harmlos daher. Bestimmte nahe Angehörige (Abkömmlinge, Ehegatten und Eltern) erhalten, wenn sie insoweit enterbt sind, die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil (vgl. § 2303 BGB). Der Pflichtteil ist nach deutschem Recht ein Zahlungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben bzw. die Miterberbengemeinschaft. Auf den ersten Blick hat das auch eine erhebliche Befriedungsfunktion. Es wird gewährleistet, dass Streit aus der auf Konsens angelegten Miterbengemeinschaft herausgehalten wird.
Tatsächlich ist der Pflichtteil in der Praxis hoch streitanfällig und ggf. sogar streitauslösend. Was auf den ersten Blick wie ein ausgewogener (hälftiger) Kompromiss zwischen Testierfreiheit des Erblassers einerseits und Schutz der Vermögensinteressen der nächsten Angehörigen andererseits wirkt, bedeutet für den Erblasser, dass er eben ganz wesentlich doch nicht testierfrei ist und für den Pflichtteilsberechtigten, jedenfalls wenn die Enterbung nicht mit seiner Zustimmung erfolgt, die maximale Zurücksetzung. In der Folge ist die Abwicklung des Pflichtteils daher häufig hoch streitig. Das Gesetz kompensiert das strukturelle Informationsdefizit des Pflichtteilsberechtigten (er ist ja gerade nicht Erbe und verfügt daher nicht aus eigener Anschauung über Informationen über die Zusammensetzung des Nachlasses) mit weitreichenden Informationsansprüchen des Pflichtteilsberechtigten, einem Anspruch auf ein notarielles Nachlassverzeichnis und flankierenden Rechten auf eidesstattliche Versicherung (vgl. § 2314 BGB mit dem Verweis auf § 260 BGB). Um die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil vor übermäßiger Reduzierung zu schützen, werden Schenkungen des Erblassers in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod – abschmelzend – über Pflichtteilsergänzungsansprüche berücksichtigt (vgl. § 2325 BGB). Um die Höhe des Pflichtteils wird denn zuweilen auch erbittert vor Gericht gestritten, wobei mit Händen zu greifen ist, dass es in den Verfahren nun wirklich nicht nur um Geld, i.e. die Höhe des Pflichtteils, geht, sondern auch um die Verarbeitung der schon oben so bezeichneten maximalen Zurücksetzung durch den Erblasser. Dabei ist Beklagter in den Verfahren gar nicht der Erblasser, der die Zurücksetzung entschieden hat, sondern der Erbe, der ggf. bis zum Tod des Erblassers nichts von seinem Glück bzw. Unglück wusste.
Jedenfalls Unfrieden kann der Pflichtteil bzw. dessen Diskussion auch in zunächst vollkommen harmonische Beziehungen bringen. So ist ein, ggf. gegenständlich beschränkter, Pflichtteilsverzicht regelmäßig Bestandteil von Eheverträgen. Wenn einer der Ehegatten an Unternehmensvermögen, insbesondere einem Familienunternehmen, beteiligt ist, ist – der zumindest gegenständlich auf das Unternehmensvermögen beschränkte – Pflichtteilsverzicht des Ehepartners fast zwingend, um sicherzustellen, dass nicht im "worst case" die Beteiligung oder sogar das Unternehmen veräußert werden muss, um den – mit dem Tod fälligen – Pflichtteilsanspruch befriedigen zu können. Gefühlt "enterben" sich die Ehepartner daher schon vor ihrer Heirat.
Das vornehmliche Ziel, Pflichtteilsansprüche "unliebsamer" Angehöriger zu beschränken, kann auch, ebenso wie das oftmals überragende Ziel, Erbschaftssteuer zu sparen, zu zivilrechtlich und wirtschaftlich im Übrigen fragwürdigen Gestaltungen führen. Hat nur ein Ehegatte oder Partner einen "unliebsamen" pflichtteilsberechtigten Abkömmling aus einer früheren Beziehung, wird bisweilen das gesamte Familienvermögen im Eigentum des "unbelasteten" Ehepartners aufgebaut. Alternativ werden Schenkungen an Dritte vorgenommen, um das pflichtteilsrelevante Vermögen zu vermindern. Die durch die Schenkung entstehenden Pflichtteilsergänzungsansprüche des Pflichtteilsberechtigten schmelzen dann, wie bereits erwähnt, über einen Zeitraum von zehn Jahren ab. Dabei gerät bisweilen etwas aus den Augen, dass eine Schenkung insoweit nur dann hilft, wenn der Schenker den Zugriff auf den geschenkten Gegenstand verliert. In der Praxis sieht man daher regelmäßig Schenkungen, die den gewünschten Zweck (die Pflichtteilsverkürzung) gar nicht erreichen (z.B. bei Schenkungen an den Ehegatten (vgl. § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB) oder aber solche, die zwar den gewünschten Zweck verwirklichen, bei denen der Schenker dann aber nach einiger Zeit erkennt, dass er eigentlich doch auf den geschenkten Gegenstand angewiesen ...