Leitsatz
1. Der Erbe kann einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10 d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen. Jedoch ist die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin in allen Erbfällen anzuwenden, die bis zum Ablauf des Tages der Veröffentlichung dieses Beschlusses eingetreten sind.
2. Da der Große Senat des BFH die vorgelegte erste Rechtsfrage im Grundsatz verneint hat, erübrigt sich eine Stellungnahme zu der vom vorlegenden Senat nur hilfsweise gestellten zweiten Rechtsfrage.
BFH (GS), Beschluss vom 17. Dezember 2007 – GrS 2/04
(Auf Vorlagebeschluss vom 28. Juli 2004 XI R 54/99, BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262)
1 A. Vorgelegte Rechtsfragen, Ausgangsverfahren, Anrufungsbeschluss des XI. Senats, Stellungnahme der Beteiligten
I. Vorgelegte Rechtsfragen
Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Beschluss vom 28. Juli 2004 XI R 54/99 (BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262) dem Großen Senat des BFH die folgenden Rechtsfragen zur Beantwortung vorgelegt:
1. Kann der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlust bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen?
2. Falls die 1. Rechtsfrage bejaht wird: Steht im Falle einer Erbengemeinschaft der Abzug nur demjenigen zu, der die Einkunftsquelle(n) fortführt, die den Verlust verursacht hat (haben)?
Gelten für den Fall der Sondererbfolge in die Verlust verursachende Einkunftsquelle Besonderheiten?
II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt. Er ermittelt den Gewinn seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der im Jahr 1983 verstorbene Vater des Klägers hatte diesen testamentarisch zum alleinigen Hoferben bestimmt. Der Erbteil des Klägers am hoffreien Vermögen betrug 10 v. H.; die restlichen Erbteile entfielen auf seine Mutter (50 v. H.) und seine vier Geschwister (je 10 v. H.). In den Veranlagungszeiträumen 1980 bis 1982 hatte der Erblasser Verluste in Höhe von insgesamt 107.165 DM erlitten, von denen er nach § 10 d EStG im Veranlagungszeitraum 1983 lediglich 16.431 DM abziehen konnte.
In seinen Einkommensteuererklärungen für die Kalenderjahre 1983 bis 1986 beantragte der Kläger, die beim Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste in Höhe von 90.734 DM bei ihm nach § 10 d EStG abzuziehen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA –) erkannte erklärungsgemäß für die Jahre 1983 bis 1985 Verlustabzüge in Höhe von insgesamt 32.050 DM an.
Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 1986 vertrat das FA die Auffassung, dass ein Verlustvortrag nicht mehr vorzunehmen sei, weil der Kläger nur 10 v. H. der vom Erblasser nicht verbrauchten Verluste habe abziehen dürfen.
Nach erfolglosem Einspruch machte der Kläger mit seiner Klage geltend, das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verlange, dass der Verlustvortrag allein ihm als dem nach der Höfeordnung (HöfeO) bestimmten Hoferben zustehe, zumal der wesentliche Teil des Nachlasses aus dem Hof bestanden habe. Das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge stehe dem zumindest im Bereich der Landwirtschaft nicht entgegen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1999, 1221). Es hat die Auffassung vertreten, dass der Verlustabzug entgegen der ständigen Rechtsprechung des BFH nicht vererblich sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 45 der Abgabenordnung (AO) sowie des § 10 d EStG.
III. Begründung des Vorlagebeschlusses
1. Der XI. Senat verneint entgegen der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH die 1. Vorlagefrage. Er beabsichtigt daher, die Vorentscheidung zu bestätigen und die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. Er hält die dogmatischen und systematischen Einwände gegen den Übergang des vom Erblasser nicht verbrauchten Verlustabzugs auf den Erben für so schwerwiegend, dass er die bisherige Rechtsprechung des BFH aufgeben möchte. Die Annahme der Vererblichkeit des vom Erblasser nicht genutzten Verlustabzugs stelle eine Durchbrechung des in der Rechtsprechung des BFH und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aufgestellten allgemeinen Grundsatzes dar, nach dem nur derjenige Steuerpflichtige Aufwendungen und Verluste steuermindernd geltend machen könne, der sie getragen habe.
Folge man hingegen dieser Auffassung nicht und gehe man im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung des BFH von der Vererblichkeit des Verlustvortrages aus, so stelle sich im Ausgangsverfahren die 2. Vorlagefrage, ob der Abzug in voller Höhe dem Kläger als alleinigem Hoferben zustehe oder ob er den Verlust, da er nur einer von mehreren (Mit-)Erben des hoffreien Vermögens geworden sei, nur anteilig abziehen könne. Im letzteren Fall sei zudem die Frage zu beantworten, wie dieser Anteil zu berechnen sei.
Im Streitfall seien die vom Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste im landwirtschaftlichen Betrieb entstanden. Allein der Kläger führe als Hoferbe den Betrieb fort und trage auch den Kapitaldiens...