Häufig sind beim gemeinschaftlichen Testament (und beim Erbvertrag) Situationen, in denen sich das Verhältnis zu den Schlusserben verschlechtert (oder verbessert), sodass die Eltern das gemeinschaftliche Testament ändern, weil etwa ein Kind enterbt werden soll oder aber ein Kind begünstigt werden soll, weil es Hilfeleistungen erbringt, z. B. Pflege. Sind beide Eheleute geschäftsfähig (testierfähig), wird der Berater etwa zur Beseitigung der gegenseitigen Erbeinsetzung und zur unmittelbaren Einsetzung der anderen Abkömmlinge zu Schlusserben raten, um so die erstrebte Wirkung – den Pflichtteilsanspruch des betreffenden Kindes nach dem Tode des Längstlebenden (wegen der fehlenden Kumulierung der Vermögenswerte beider Eheleute durch den ersten Erbfall) gering zu halten. In jedem Fall geht der Wunsch dahin, das in Ungnade gefallene Kind zu enterben oder ein anderes Kind besonders zu begünstigen. Durch den Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments würden alle korrespektiven Erklärungen der beiden Erblasser unwirksam werden (§ 2270 Abs. 1 BGB). Die damit (meist) eintretende gesetzliche Erbfolge könnte durch erneute letztwillige Verfügung beseitigt werden. Ist aber ein Ehepartner (Widerrufsgegner) testierunfähig und damit an der Enterbung des ungeliebten Kindes gehindert, würde die gesetzliche Erbfolge eintreten.

aa) Folgen des Widerrufs

Je nach (den jeweiligen) Vermögensverhältnissen der Eheleute könnte durch den Widerruf der wirtschaftliche Anteil des "enterbten Kindes" am Nachlass (im Ergebnis) sogar noch anwachsen.[30] Diese Folgen können auch durch einen sogen. Abänderungsvorbehalt, das heißt, die dem Überlebenden eingeräumte Befugnis, abweichende Verfügungen vorzunehmen,[31] nicht immer vermieden werden, da der Abänderungsvorbehalt nur dann ausgeübt werden kann, wenn der Längstlebende bei Eintritt des Todes des Ehepartners auch geschäftsfähig ist. Das gewünschte Ergebnis, nämlich die Befugnis des geschäftsfähigen Ehepartners, die Verfügung des geschäftsunfähigen Ehepartners nicht nur zu beseitigen (mit der Folge der unerwünschten gesetzlichen Erbfolge), sondern durch eine andere Verfügung zu ersetzen, scheitert jedoch an § 2065 Abs. 2 BGB.

Möglich ist jedoch die Einräumung eines sogenannten "Universalvermächtnisses",[32] bei dem die Eheleute sich gegenseitig oder Dritten weitreichende Bestimmungsmöglichkeiten für die Vermögensnachfolge einräumen können.[33] Im Unterschied zu dem Verbot des Drittbestimmungsrechts nach § 2065 Abs. 2 BGB bei der Erbeinsetzung kann der Erblasser die Bestimmung des Vermächtnisgegenstands und die Person des Bedachten aus einem bestimmbaren Personenkreis einem Dritten überlassen. Damit ist etwa ein "Supervermächtnis"[34] in der Weise zulässig, dass die Eheleute bestimmen: "Jeder von uns ordnet ein mit seinem Tod anfallendes Geldvermächtnis in der Weise an, dass der Überlebende Ehepartner oder der genannte Testamentsvollstrecker die Auswahl des Vermächtnisnehmers aus unseren Abkömmlingen und der Höhe des Geldbetrags, sowie seine Fälligkeit bestimmen kann."

[30] Dies wäre etwa der Fall, wenn der geschäftsfähige Ehepartner vor dem dementen Ehepartner versterben würde und zum Zeitpunkt des zweiten Erbfalls noch nicht verjährte Pflichtteilsansprüche bestehen würden.
[31] Dazu etwa FA-Komm-ErbR/Zimmer (2. Aufl. 2008), § 2278 BGB Rn 7.
[32] Vgl. etwa dazu Nieder, Testamentsgestaltung (2. Aufl. 2000); Rn 292 ff; AnwK-BGB/Mayer (2. Aufl. 2007), § 2151 Rn 22 ff, dort auch zu den Nachteilen derartiger Gestaltungen.
[33] Zur Drittbestimmung des Erben neuerdings Helms, ZEV 2007, 1 ff; die Grenzen derartiger Gestaltungen liegen allerdings dort, wo die Vermächtniseinsetzung als Erbeinsetzung aufzufassen wäre. Vgl. BGH, 7.7.2004 – NJW 2004, 3558 – jedenfalls ist es problematisch, die Verfügungen des Erblassers je nach gewünschtem Ergebnis in eine Erbeinsetzung bzw. eine Vermächtnisanordnung umzudeuten, so aber Helms, ZEV 2007, 5.
[34] Begriff von Langenfeld, Testamentsgestaltung, S. 250 ff, Rn 275; krit. AnwK-BGB/Mayer (Fn 32), § 2151 Rn 24 f.

bb) Zulässigkeit des Widerrufs wechselbezüglicher Verfügungen bei geschäftsunfähigem Ehepartner

Ergibt die wirtschaftliche Betrachtung, dass der Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen dem Willen des (testierfähigen) Ehepartners nach einer möglichst geringen Beteiligung des ungeliebten Kindes entgegenkommt oder aber aus sonstigen Gründen gewollt ist, stellt sich die weitere Frage, ob ein solcher Widerruf überhaupt möglich ist. Der Wortlaut des § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB steht dem zunächst nicht entgegen. Allerdings könnte aus dem Sinn und Zweck der Notwendigkeit der Erklärung zu Lebzeiten des anderen Ehepartners (§ 2270 Abs. 2 BGB) gleichwohl das Erfordernis der Testierfähigkeit des Widerrufsgegners abgeleitet werden. Der BGH nimmt in anderem Zusammenhang an, das Erfordernis des Widerrufs zu Lebzeiten des Widerrufsgegners solle dem Zweck dienen, dass dieser "in die Lage versetzt wird, der veränderten Sachlage entsprechende Verfügungen zu treffen".[35] Dabei ging es zwar zunächst um das Problem des auf den Tod des Widerrufsgegners verzögerten Zugangs der Widerrufserklärung und die Ausl...

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