Tagungsbericht zum 33. Berliner Steuergespräch
Einführung
Die steuerliche Behandlung der Familien ist rechtspolitisch seit jeher in der Diskussion und steht im Spannungsfeld zwischen gerechter steuerlicher Belastung und sozialpolitischer Förderung.
1957 hat das Bundesverfassungsgericht die gemeinsame Veranlagung (Zusammenrechnung der Einkünfte) der Ehegatten für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat daraufhin das sog. Ehegattensplitting eingeführt, das seitdem unverändert gilt, aber rechtspolitisch starker Kritik ausgesetzt ist. Die Reformvorschläge reichen von der gänzlichen Abschaffung über die Einschränkung (Realsplitting) bis zur Erweiterung (Familiensplitting).
Unterhaltsaufwendungen der Eltern für ihre Kinder mindern deren subjektive Leistungsfähigkeit und müssen deshalb nach der allerdings ebenfalls umstrittenen Rechtsprechung des BVerfG von der Bemessungsgrundlage – zumindest – typisiert abgezogen werden. Traditionell geschieht dies durch Kinderfreibeträge, die bis 1974 zusätzlich durch Kindergeld ergänzt wurden. 1975 hat der Gesetzgeber die Kinderfreibeträge abgeschafft, 1983 – veranlasst durch die Rechtsprechung des BVerfG – jedoch das duale System in veränderter Form wieder eingeführt. Dem Kindergeld wurde neben der steuerlichen Entlastungsfunktion auch die Funktion einer allgemeinen Sozialleistung zugeschrieben. 1996 baute der Gesetzgeber dieses Modell zum System des sog. Familienleistungsausgleichs (§ 31 EStG) aus.
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Das 33. Berliner Steuergespräch – moderiert von Herrn Prof. Dr. Dieter Birk – bot ein Diskussionsforum zum intensiven Austausch zwischen Steuerwissenschaft, Steuerpraxis und -politik, an dem neben den beiden Referenten Herrn Prof. Dr. Aloys Prinz und Herrn Prof. Dr. Christian Seiler auch Frau Prof. Dr. Monika Jachmann sowie Herr MR Gernot Nolde mitwirkten.
A. Vorträge
I. Die Familie als Wirtschafts- und Bedarfsgemeinschaft oder Verband
Nach Seiler muss die Besteuerung von Ehe und Familie im Lichte der besonderen Pfadabhängigkeit der steuerlichen Systematik gesehen werden. Deshalb müsse man jeden Reformansatz immer zuerst nach seinen systematischen Verknüpfungen befragen. Folglich müsse jeder, der die Wirkungen des Ehegattensplittings ändern möchte, bei ihren systembedingten Ursachen ansetzen. Diese lägen nicht im verfassungsrechtlich unangreifbaren Gemeinschaftscharakter der Ehe. Die entlastende Wirkung der Zusammenveranlagung sei nur die Kehrseite einer progressiven Belastung. Die ökonomischen Vorzüge des Ehegattensplittings ließen sich also verfassungskonform begrenzen, allerdings nicht durch gleichheitswidrige Zusatzlasten für manche Ehepaare, sondern durch ein Abschwächen der Progression für alle Steuerpflichtigen, seien sie verheiratet oder nicht. Ebenso müsse jeder, der familienaufkommensneutral entlasten wolle, gegenläufig Steuerpflichtige ohne Kinder belasten. Dabei dürfe wiederum nicht zwischen Ledigen und Verheirateten differenziert werden, weil sich die gesellschaftliche Verantwortung beider Gruppen für die Familie nicht unterscheide. Stattdessen solle man eine Neuordnung der Familienbesteuerung mit einer Zusatzbelastung für alle Steuerpflichtigen über eine geänderte Tarifstruktur verbinden. Dies sei sogar notwendige Bedingung der Funktionalität des ganzen Systems. Ein Familiensplitting, egal in welcher Gestalt, ginge dabei vorzugsweise mit einem flacheren Tarifverlauf einher. Denn Aufkommens- wie Umverteilungswirkung eines Familiensplittings hingen vor allem vom Tarifverlauf ab und würden durch dessen gleichzeitige Änderung sogleich in Grenzen gehalten.
II. Äquivalenzziffern als Basis der Besteuerung
Nach Prinz ist die Fokussierung der Familienbesteuerung auf das Splitting-Verfahren eigentlich zu eng und hat viele Implikationen, die heute infrage zu stellen seien. Ökonomen verwendeten bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit Äquivalenzziffern. Es werde empirisch danach gefragt, wie viel Einkommen ein Zweipersonenerwachsenenhaushalt oder ein Familienhaushalt brauche, um einem Singlehaushalt gleichzustehen. Unumstritten sei, dass die Leistungsfähigkeit bei der Besteuerung eine Rolle spielen müsse. Zu fragen sei aber, wo unerwünschte verteilungspolitische Effekte aufträten. Deutschland gebe im europäischen Vergleich sehr viel für Familienförderung aus, liege aber bei allen Indikatoren, die die Effizienz dieser Umverteilungsmaßnahmen und der Sicherungsmaßnahmen angeben, bestenfalls im Mittelfeld. Bei der Kinderarmut liege Deuts...