Insbesondere streicht der Senat hierbei zu Recht die Bedeutung der Testierfreiheit heraus. Rechtsgeschäfte, die das bürgerliche Recht vorsieht, sind wirksam, solange sie nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen und nur in eng begrenzten Ausnahmefällen kann eine Unwirksamkeit aus einer Generalklausel wie § 138 Absatz 1 BGB hergeleitet werden. Ausdrücklich betont der Senat, dass grundsätzlich alle im Erbrecht vom Gesetz bereitgestellten Gestaltungsinstrumente einschließlich ihrer Kombinationsmöglichkeiten ausgeschöpft werden können. Daher ist grundsätzlich von der Wirksamkeit einer Gestaltung auszugehen, soweit nicht deren Sittenwidrigkeit dargetan werden kann, und nicht etwa umgekehrt. Gerade im Bereich des Behindertentestaments klang das in einigen Literaturbeiträgen aus jüngster Zeit anders.
Auch einige im Rahmen dieser Diskussion verwendete Stereotypen werden als unzutreffend und unbrauchbar beiseite gelegt. Dies betrifft zum einen die Formel von einem vorgeblichen "Vertrag zulasten Dritter", der nach einigen sozialgerichtlichen Urteilen sowohl in der Konstellation eines Behindertentestaments als auch etwa in Gestalt von auflösend bedingten Nutzungs- oder Leistungsansprüchen eines Übergebers vorliegen soll. Tatsächlich verschleiert diese Rechtsfigur nur das, worum es geht: die sachgerechte Ausübung der Testierfreiheit darf verhindern, dass Familienvermögen durch Pflege und Unterbringungskosten behinderter Kinder aufgezehrt wird.
Ferner wird auch der sog. "Nachranggrundsatz" der Sozialhilfe kritisch durchleuchtet. Der Senat geht hierbei so weit, dem Subsidiaritätsprinzip als Grundsatz die Prägekraft weitgehend abzusprechen, was im Hinblick auf die Regelungen zur Überleitung von Unterhaltsansprüchen des Behinderten gegenüber seinen Eltern durch § 19 Absatz 3, 92, 94 Absatz 2 SGB XII auch tatsächlich begründet ist. Denn im Fall der Eingliederungshilfe für Behinderte und der Hilfe zur Pflege – also der eigentlichen Fallgruppe des Behindertentestaments – ist der Übergang von Ansprüchen einer volljährigen unterhaltsberechtigten Person, die behindert oder pflegebedürftig ist, gegenüber ihren Eltern je nach Art der bezogenen Leistung auf den beinahe symbolischen Betrag von insgesamt 46,00 EUR monatlich beschränkt (§ 94 II SGB XII). Und im Bereich der Grundsicherung findet eine Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen nur statt, wenn das jährliche Gesamteinkommen des Unterhaltsverpflichteten einen Betrag von 100.000,00 EUR nicht übersteigt (§ 43 Absatz 2 Satz 1 SGB XII). Einkünfte von unterhaltsverpflichteten Ehegatten oder überhaupt mehrerer Unterhaltsverpflichteter sind dabei nach herrschender Meinung nicht zusammenzurechnen. Insoweit ist tatsächlich das Nachrangprinzip in der klassischen Konstellation des Behindertentestaments durch die mangelnde Überleitungs- bzw. Berücksichtigungsfähigkeit von Unterhaltsansprüchen durchlöchert. Der Senat geht aber noch einen Schritt weiter und folgert daraus ein gleichsam gegenläufiges Prinzip eines "Familienlastenausgleichs", wonach diesen gesetzlichen Wertungen die Absicht zugrunde liege, die wirtschaftlichen Lasten, die mit einem behinderten Kind verbunden sind, zu einem gewissen Teil endgültig von der Allgemeinheit tragen zu lassen. Da eine ähnliche Einschränkung des Unterhaltsregresses auch im Bereich von ALG-II-Beziehern ("Hartz IV") besteht, dürfte sich dieser Wertungsgedanke auch auf die Konstellation des Bedürftigentestaments anwenden lassen (siehe hierzu näher unten unter VI). Auch der vom Bundesgerichtshof vor nicht langer Zeit entschiedene Fall eines Übergabevertrags, nach dem Versorgungsleistungen bei einer späteren Heimunterbringung ersatzlos wegfallen sollen, wird vom Senat herangezogen und im Sinne entsprechender Testierfreiheit interpretiert, eine Parallele, auf die bereits in der Literatur hingewiesen worden war.
Um hier nicht in Wertungswidersprüche zu kommen, wird auch die bisherige oberlandesgerichtliche Rechtsprechung zur vorgeblichen Sittenwidrigkeit einer Erbschaftsausschlagung angesprochen und Letztere verneint. Der Erbrechtsgarantie des Artikels 14 Absatz 1 GG sei, so der Senat in einer ebenfalls grundsätzlichen Wendung, auch ein Gegenstück im Sinne einer "negativen Erbfreiheit" zu entnehmen, die dem vom Gesetz vorgesehenen Von-selbst-Erwerb durch die Ausschlagung als Korrelat Rechnung trage und deshalb auch in der Konstellation des Sozialleistungsbezugs nicht zur Sittenwidrigkeit einer Ausschlagung führen könne. An dieser Stelle geht der Senat auf die vom Bundesgerichtshof bisher nicht ausdrücklich beantwortete Frage ein, ob der Sozialhilfeträger das Ausschlagungsrecht des Pflichtteilsberechtigten auf sich überleiten kann. Mit erfreulicher Klarheit wird festgestellt, dass nach "einhelliger und überzeugender Auffassung dem Sozialhilfeträger ein solches Ausschlagungsrecht nicht zusteht". Damit ist eine jahrelang nicht ausdrücklich geklärte Frage nunmehr endgültig im Sinne der dargestellten Meinung erledigt. Von einem "seidenen Faden" (Spall),...