Korrigiert der Unterhaltsbedarf oder die nachlassbedingte Steuerlast des Erben grundlegend § 2216 Abs. 1 BGB und dessen Maßstab für die ordnungsgemäße Verwaltung? Aktuelle Reaktionen auf den Beschluss des OLG Frankfurt nehmen zwar die grundsätzliche Thesaurierungsbefugnis des Testamentsvollstreckers an, beantworten aber nicht unsere Frage. Auch ein Blick in weiteres, praxisrelevantes Schrifttum verschafft dem Testamentsvollstrecker nicht die Rechtssicherheit, die er für seine Entscheidung braucht.
Selbst J. Mayer scheint sich nicht sicher gewesen zu sein: Während die Entscheidungshoheit des Testamentsvollstreckers in der Kommentierung im Bamberger/Roth zu § 2209 BGB unter Verweis auf die BGH-Urteile vom 14.5.1986 und 4.11.1987 klar zu sein scheint, ist dies bei der Kommentierung zu § 2216 BGB nicht der Fall: "Die Nutzungen sind dann herauszugeben, wenn dies zu Bestreitung eines angemessenen Unterhalts des Erben erforderlich ist. Soweit die Einkünfte ausreichen, hat der Testamentsvollstrecker dem Erben auch die zur Erfüllung von dessen gesetzlicher Unterhaltspflicht notwendigen Mittel auszukehren." J. Mayer beruft sich hier ausdrücklich auf die beiden RG-Urteile aus 1918 und 1922. Sein Nachfolger Lange verweist in seiner Kommentierung zu § 2216 BGB nun nicht mehr auf die Urteile des RG und sieht die Dinge in der Sache wie J. Mayer in seiner o.g. Kommentierung zu § 2209 BGB; die Kommentierung J. Mayers zu § 2209 BGB hat Lange (wohl daher) beibehalten (können).
Ähnlich klar wie bei Lange wird man die Kommentierung von Weidlich verstehen können, wonach die dem Testamentsvollstrecker obliegende ordnungsgemäße Nachlassverwaltung der letztlich entscheidende Beurteilungs- und Entscheidungsmaßstab ist.
Dagegen sehen andere Autoren die Sache (jedenfalls für den unbefangenen Leser) eher wie Reimann und erwecken zumindest den Eindruck, dass bei Vorliegen der Fallgruppen Unterhalt oder Steuern der Testamentsvollstrecker kein Ermessen habe und daher der Erbe dem Grunde nach die zweckgebundene Erlösauskehr verlangen könne. Auch bei Muscheler ist die Sache nicht eindeutig. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts führt er aus: "Die Nutzungen sind auf jeden Fall herauszugeben, wenn dies ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, etwa zur Bestreitung des angemessenen Unterhalts der Erben erforderlich ist. Wenn die Einkünfte das Nachlasses ausreichen, hat der Vollstrecker dem Erben auch die zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten notwendigen Mittel zu gewähren." Muscheler verweist für die Unterhaltspflicht neben der alten Rechtsprechung des Reichsgerichts auf das Urteil des BGH vom 14.5.1986. Doch lag in diesem Fall, wie wir sogleich unter III. noch sehen werden, dem Gericht im Testament eine das Gesetz wiederholende Reinertragsklausel im Grundsatz vor, die ausdrücklich die Erlösauskehr an die Erben (Mieterträge) verfügte. "Nur" deren Reichweite bzw. Auslegung war streitig. Es ging also nicht um den Anspruch auf Erlösauskehr dem Grunde nach, d.h. darum, ob ein solcher überhaupt nach § 2216 Abs. 1 BGB gerechtfertigt werden kann. Auch im Fall und Urteil des BGH vom 4.11.1987 war es so.
Am weitesten geht Zimmermann. Er relativiert die Thesaurierungsbefugnis derart, dass davon nur bleibt, dass vom Testamentsvollstrecker das "Bedürfnis" des Nachlasses nach Rücklagen und Neuinvestitionen "angemessen berücksichtigt werden" dürfe. Steht Zimmermann mit dieser Auffassung noch auf dem Boden der ständigen Rechtsprechung des BGH? Noch weiter geht Mylich, dessen Vorschlag aber auf grundsätzliche systematische Bedenken stößt und im Übrigen mit der ständigen Rechtsprechung eindeutig nicht mehr vereinbar ist.
Wir müssen festhalten: Selbst wenn man zugesteht, dass Kommentierungen schwierige Sach- und Rechtsfragen komprimiert darstellen müssen, bleiben Zweifel, was i.E. (noch mit dem BGH?) vertreten wird. Wir müssen daher vorsichtig sein und Schritt für Schritt und Schicht für Schicht die Sach- und Rechtslage abtragend betrachten.
Zwar haben BGH und OLG Frankfurt die beiden Fallgruppen grundsätzlich anerkannt. Offen bleibt aber – neben der rechtlichen Begründung – die inhaltliche Reichweite der Anerkennung und die Frage, ob und inwieweit die Entscheidungen rechtssichere Präjudizien sind. Wir müssen daher mit den Einzelheiten zur grundsätzlichen Thesaurierungsbefugnis des Dauervollstreckers fortfahren, wie sie der BGH in seinen maßgeblichen Urteilen festgelegt hat. Denn BGH und OLG Frankfurt berufen sich in ihren Beschlüssen ausdrücklich auf diese Urteile.