1. Die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Thesaurierungsbefugnis des Dauervollstreckers
Die grundsätzliche Befugnis zur Thesaurierung wird von beiden hier besprochenen Beschlüssen betont und ist ständige Rechtsprechung des BGH zur Dauervollstreckung nach § 2209 BGB. Denn auch für sie gilt § 2216 Abs. 1 BGB und bezieht sich "grundsätzlich auch" auf die Nutzungen als Teil des Nachlasses: die "Herausgabe der Nutzungen kann der Erbe daher vom Testamentsvollstrecker nur dann verlangen, wenn das den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht." In beiden Fällen, die den Urteilen des BGH vom 14.5.1986 und 4.11.1987 zugrunde lagen, war neben der Testamentsvollstreckung Vor- und Nacherbschaft angeordnet und der grundsätzliche und von Gesetzes wegen gegebene Anspruch des Vorerben auf die Nutzungen zusätzlich im Testament als Reinertragsklausel verfügt. Dass der BGH in diesen Klauseln nicht zugleich eine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB sah, mag ein Defizit dieser Entscheidungen sein, ändert aber an der grundsätzlichen Aussage des BGH zur Entscheidungshoheit des Testamentsvollstreckers nichts, wie der Beschluss des BGH vom 24.7.2019 zeigt.
Der für uns entscheidende Punkt ist: der BGH hält in beiden Fällen trotz eines gesetzlichen Anspruchs des Vorerben auf Erlösherausgabe am Vorbehalt und an der Grundregel fest, dass die Erlösherausgabe der ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 2216 Abs. 1 BGB entsprechen und der Testamentsvollstrecker hier abwägen und versuchen muss, die auseinanderlaufenden Interessen auszugleichen; obwohl der Vorerbe das Recht hatte, die Erlösherausgabe zu verlangen, forderte der BGH vom Testamentsvollstrecker gemäß § 2216 Abs. 1 BGG dennoch eine Abwägung zwischen den Belangen von Vor- und Nacherben.
Nach dem BGH hat daher sogar dann, wenn ein ausdrücklicher schuldrechtlicher Anspruch auf Erlösauskehr vorliegt, der Testamentsvollstrecker das Letztentscheidungsrecht darüber, ob thesauriert oder ausgeschüttet wird, und dies nach dem Maßstab des objektiven Nachlassinteresses ggf. auch gegen den Willen des Erben, wie es seit der Grundsatzentscheidung BGHZ 25, 275, 279/280 maßgebend ist. Der "Anspruch" des Erben ist daher zunächst keiner im Rechtssinne, sondern darauf gerichtet, dass der Testamentsvollstreckers bei seiner Ermessensentscheidung nach § 2216 Abs. 1 BGB diesen "Anspruch" der Sachlage entsprechend berücksichtigen muss; tut er dies nicht, handelt er rechtswidrig. Denn in BGHZ 25, 275 hat der BGH das Wohl und Interesse des Erben gerade nicht als konkreten Anspruch innerhalb der vom Erblasser geschaffenen schuldrechtlichen Sonderverbindung zwischen Erben und Testamentsvollstrecker gesehen. Daher kann und muss sich der Testamentsvollstrecker auch über die Interessen und Belange des Erben ggf. hinwegsetzen, sofern sie dem objektiven Nachlassinteresse widersprechen. Und daher hat der BGH wie schon das RG den Erben auf diesen Klageweg verwiesen, bei dem die Verletzung des § 2216 Abs. 1 BGB Streitsache ist.
Diese Kernaussage der BGH-Urteile vom 14.5.1986 und 4.11.1987 ist auch verfassungsrechtlich abgesichert, wie wir an anderer Stelle noch sehen werden (Teil 3 unter Abschnitt XI.2) und hat weitere, weitreichende Folgen:
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Beurteilungs- und Entscheidungsmaßstab ist der Nachlass an sich und in seiner Gesamtheit. So steht es auch im Gesetz, §§ 2205 S. 1, 2216 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 BGB. Der Erbe kann also nicht einwenden und behaupten, bei der Nachlassverwaltung gebe es zwei Sphären (ungeachtet der Fragwürdigkeit dieser Abgrenzung im Übrigen) mit zwei unterschiedlichen rechtlichen Entscheidungsmaßstäben: eine Sphäre der "inneren" Nachlassverwaltung, z.B. bei der Frage der Vornahme von Sanierungsmaßnahmen für eine Nachlassimmobilie, und eine weitere Sphäre, die "äußere" Nachlassverwaltung, bei der Belange des Erben "unmittelbar" berührt seien. |
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Der BGH stellt ein materiell-rechtliches Regel-Ausnahme-Verhältnis auf. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Ausnahme von der grundsätzlichen Thesaurierungsbefugnis trägt daher der Erbe. Es ist Sache des Erben, durch seinen Vortrag beim Testamentsvollstrecker dafür zu sorgen, dass dieser überhaupt weiß, dass er sich mit besonderen Belangen des Erben auseinandersetzen muss und ihn dies bei seiner Ermessenentscheidung ggf. einschränkt. Dies hat das OLG Frankfurt im Beschl. v. 15.2.2016 umgesetzt: der Anspruch des Klägers scheiterte daran, dass eine der beiden Ausnahme-Fallgruppen Unterhalt oder Steuern nicht substantiiert vorgetragen werden konnte (Rn 31). |
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Diese Darlegungs- und Beweislastregel beruht auf dem Standpunkt des BGH, wonach die Nutzungen grundsätzlich Teil des Nachlasses sind, für den die Testamentsvollstreckung angeordnet ist. Daher gilt auch für die Nutzungen der Maßstab des § 2216 Abs. 1 BGB. |
Der materiell-rechtliche Grund für diese Darlegungs- und Beweislastregel und dafür, dass die Nutzungen grundsätzlich der Testamentsvollstreckung unterfallen, ist der Surrogationsgrundsatz bzw. seine Reichweite. Anders als z.B. bei der Vor- und Nacherbschaft gehören die Nutzungen grundsätzlich zum Nachlass und damit ...