Es reicht nicht aus, dass das Verhalten des Pflichtteilserben nur objektiv im Widerspruch zu den Verpflichtungen aus dem Familienrecht ist, um die familiären Bindungen zu beinträchtigen. Diese Verletzung, die auf dem Verschuldensprinzip beruht, muss auch die familiären Bindungen zwischen dem Erblasser und den Erben subjektiv durchtrennt haben. Eine sogenannte Entfremdung des Erblassers hinsichtlich dieser Beziehung ist demnach ausschlaggebend. Dabei spielt vor allem die subjektive Einschätzung des Erblassers eine wichtige Rolle. Insofern werden persönliche Empfindlichkeiten, Schwächen und der Lebensstil des Erblassers bei der subjektiven Beurteilung berücksichtigt.
Zum Beispiel ist der sogenannte "Ehebruch" eine der Handlungen, der die Familienbande objektiv bricht. Ebenso wird er als ein absoluter Scheidungsgrund, der bei Vorhandensein dem Richter keinen Ermessensspielraum einräumt, angesehen. Folglich kann ein Ehebruch auch als ein möglicher Grund für eine Enterbung sein. Andererseits ist der Ehebruch gleichzeitig einer der besonderen Scheidungsgründe. Daher sollte in einem solchen Fall auch der subjektive Status der Ehegatten zeitlich nach dem Ehebruch beurteilt werden. Somit kann der Ehebruch auch nicht mehr als Grund für die Enterbung angesehen werden, wenn einer der Ehegatten dem ehebrecherischen Ehegatten verzeiht oder ihn gemäß Artikel 161 des türk. ZGB binnen 6’Monaten ab Kenntnis des Ehebruches oder binnen 5’Jahre ab dem Ehebruch nicht zur Ehescheidung verklagt. Falls die letztlich genannten Fristen verstrichen sind und eine Klage dagegen nicht erhoben wurde, ist es nämlich nicht mehr möglich eine Scheidung aufgrund des Ehebruchs einzureichen. Dementsprechend ist eine Enterbung auch nicht mehr möglich.
Im Fall eines Rechtsstreits ist es im Ermessen des Richters zu entscheiden, welche Handlungen einen Grund für die Enterbung darstellen können. Nach den Entscheidungen des Kassationshofs ist es ersichtlich, dass die physische oder emotionale Gewalt, die Beleidigungen, die unterlassene Hilfe etc. als Gründe der Enterbung akzeptiert werden. Andererseits werden abstrakte Verhaltensweisen wie z.B. eine nicht "genehmigte" Ehe oder Beziehung, der Auszug aus dem Elternhaus, die Wahl eines nicht "genehmigten" Berufes, die Missachtung und die Unehrerbietigkeit nicht als Grund für die Enterbung angesehen. Ebenso sollte die Rechtsausübung von gesetzlichen Rechten, zum Beispiel gegen die Eltern zu klagen, die die Kosten der Erziehung nicht tragen oder vor Gericht gegen den Erblasser auszusagen, nicht als "gerechtfertigter" Grund für die Enterbung angesehen werden.
Jeder sollte in der Lage sein, sein Leben zu gestalten und seine Beziehungen aufzubauen. Dies sollte als Grenze dieser Bestimmung berücksichtigt werden. Darüber hinaus, wie bereits oben erwähnt, erfordert die Abschwächung des Konzepts des Pflichtteils eine vielseitige Beurteilung der Gründe für die Enterbung, die im Ermessen des Erblassers liegen. Zweifellos sollte der Richter hier das Gleichgewicht finden.
Auf der anderen Seite ist ein Verhalten, das in Übereinstimmung mit dem der "schweren Straftat" steht, dahingehend zu interpretieren, welche als ein weiterer Grund für die Enterbung in Artikel 510 des türkischen ZGB angesehen wird.