1. Der Begriff der Familienangehörigen

Zwei wesentliche Fragen in Bezug auf den im Gesetz genannten Begriff "Familienangehöriger" müssen beantwortet werden, um mit einer Verfügung von Todes wegen die Enterbung zu erreichen: Von und gegenüber wem müssen diese Verpflichtungen verletzt werden? Mit anderen Worten, wer ist ein solcher "Familienangehöriger"? Diesen beiden Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.

a) Von wem müssen diese Verpflichtungen verletzt werden?

Gemäß Art. 510 des türk. ZGB kann nur der pflichtteilsberechtigte Erbe enterbt werden.[12] Nach türkischem Erbrecht ist der Kreis der pflichtteilsberechtigten Erben auf die Abkömmlinge, die Eltern und den überlebenden Ehegatten des Erblassers beschränkt.[13] Darüber hinaus gehören nach türkischem ZGB Art. 500 das adoptierte Kind und seine Abkömmlinge ebenfalls dazu.[14] Pflichtteilsberechtigt sind daher nur die Abkömmlinge inkl. Adoptierten, der überlebende Ehegatte und die Eltern des Erblassers. Diese wiederum können enterbt werden.

Andererseits ist es weitgehend unumstritten, dass sogar die Erben, die noch nicht den Pflichtteilserbentitel besitzen, wie z.B. Enkelkinder, deren Väter oder Mütter noch leben, enterbt werden können.[15] Nach Aussage von Gönen besteht der Grund für die alleinige Erwähnung der pflichtteilsberechtigten Erben in dem betreffenden Artikel des ZGB darin, dem Erblasser diesbezüglich keine Beschränkung aufzuerlegen. Folglich sollte es dem Erblasser möglich sein, einen Erben, der noch nicht den Pflichtteilserbentitel besitzt, zu enterben.[16] Allerdings ist die Entscheidung des türkischen gegenteilig: “ … H. ist die Tochter des enterbten E. und die Enkelin des Erblassers. Das Erbschaftsrecht und der Erbübergang richten sich nach dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Nur die pflichtteilsberechtigten Erben dürfen nach dem türk. ZGB Art. 510 enterbt werden. Da E. (Sohn des Erblassers und Vater des Klägers) zum Zeitpunkt des Todes am Leben war, war H. zu diesem Zeitpunkt keine pflichtteilsberechtigte Erbin. Daher ist dieser Teil der Verfügung von Todes wegen in Bezug auf die Enterbung von H. ungültig … “.[17] Diese Entscheidung kann jedoch unter Berücksichtigung des Prinzips der "favor testamenti" kritisiert werden.

[12] Yağcı, 93 ff.; Dural/Öz, 206; Kocayusufpaşaoğlu, 306; Serozan/Engin, § 4 N 183; İmre/Erman, 246; Kılıçoğlu, 169; Günay, 57; Gönen, 329; İşgüzar, 38. Siehe als Beispiel, “ … Das Erbschaftsrecht und der Erbübergang richten sich nach dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Nur die pflichtteilsberechtigten Erben dürfen nach dem türk. ZGB Art. 510 enterbt werden …“, Yargıtay 2. HD, E. 2008/3734, K. 2009/13172, T. 2.7.2009; Yargıtay 3. HD, E. 2016/7692, K. 2017/4540, T. 4.4.2017 (www.lexpera.com.tr).
[13] Serozan/Engin, § 3 N 8 ff; Dural/Öz, 239 ff.; Öztan, 79 ff.; Hatemi, § 3 N 1 ff.; Antalya, 279 ff.
[14] Serozan/Engin, § 2 N 181; Antalya, 89; Dural/Öz, 35; Öztan, 59 ff.
[15] Serozan/Engin, § 4 N 187. Siehe für eine gegenteilige Ansicht Günay, 57.
[16] Gönen, 339.
[17] Yargıtay 2. HD, E. 2008/3734, K. 2009/13172, T. 2.7.2009 (www.lexpera.com.tr). Siehe auch Günay, 57.

b) Gegenüber wem bestehen die Verpflichtungen, die’verletzt werden müssen?

Es ist gesetzlich geregelt, dass das Pflichtteilsrecht des Erben entfallen kann, wenn er die familienrechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Erblasser oder den Familienangehörigen des Erblassers nicht im Wesentlichen erfüllt (türk. ZGB Art. 510 (b)). In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu bestimmen, wer in diesem Kreis der Familienangehörigen zu erwähnen ist. Da die Verletzung familienrechtlicher Verpflichtungen gegen eine andere Person außer diesem Kreis dementsprechend nicht als Grundlage für die Enterbung herangezogen werden kann.[18]

Im Gegensatz zu dem anderen Grund für die Enterbung, der in Absatz 1 desselben Artikels vorgesehen ist, wird hier der Begriff "nahe Verbundene (mirasbırakanın yakınları)" nicht verwendet. Aufgrund des Gesetzes kann daraus geschlossen werden, dass Verlobte, langjährige Partner und andere solche Personen vom Geltungsbereich dieser Bestimmung ausgenommen sind.[19] Jedoch reicht manchmal die Auslegung des Gesetzes allein nach dem Wortlaut nicht aus, um den Zweck der Norm festzustellen.

Gerade an dieser Stelle ist es notwendig, dem Willen des Erblassers Vorrang einzuräumen. Wie bereits oben erwähnt, besteht unter den Gesetzgebern in Europa die Tendenz das Pflichtteilsrecht abzuschwächen. Außerdem bauen Personen durch soziale Beziehungen ihr eigenes Umfeld in der Regel unabhängig von der "Blutsverwandtschaft" und des "Ehegatten" auf. In diesem Zusammenhang wird es sinnvoll sein, diesen Kreis dahingehend zu bewerten, ob der Erblasser eine besondere Verbundenheit und Nähe zu ihnen empfindet oder nicht.[20] Zum Beispiel ist die unterschiedliche Anwendung dieses Artikels auf einen Ehegatten, der die familienrechtlichen Verpflichtungen verletzt und auf einen langjährigen nichtehelichen Partner, der die gleichen Verpflichtungen verletzt, eine sehr künstliche Trennung. Denn das Wichtigste bei einer entsprechenden Verletzung ist, inwieweit die Verletzung den Erblasser betrifft und ob sie die zwischenmenschliche Bindung insoweit be...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?