Leitsatz
1. Für den Beginn der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs eines Geschäftsunfähigen ist auf die Bestellung des Vormunds bzw. Betreuers und dessen Kenntnis abzustellen (§ 210 BGB)
2. Ein Vormund ist durch § 1795 BGB nicht gehindert, von der Erhebung einer Klage bzw. Stellung eines verfahrenseinleitenden Antrags namens des Mündels gegen den Vormund oder einen nahen Angehörigen abzusehen.
OLG Hamm, Urt. v. 22.12.2020 – 10 U 103/19
1 Tatbestand
I.
Der Kläger macht aus übergegangenem Recht Pflichtteilsergänzungsansprüche im Wege der Stufenklage geltend. Auf der Auskunftsstufe begehrt er Wertermittlung durch Vorlage von Sachverständigengutachten hinsichtlich zweier Grundstücke in I.
Der Kläger gewährt als Sozialhilfeträger der Schwester des Beklagten, Frau N X, geboren am 0.0.1956, seit dem 16.4.1964 Sozialhilfe. Die Leistungsempfängerin ist aufgrund einer schweren intellektuellen Behinderung geschäftsunfähig. Der Vater der Leistungsempfängerin und des Beklagten verstarb am 0.11.1989. Er wurde aufgrund letztwilliger Verfügung vom 1.3.1988 allein beerbt von seiner Ehefrau, Frau N1 X. Diese verstarb am 0.0.2015 und wurde von dem Beklagten aufgrund privatschriftlichen Testaments vom 15.12.1989 allein beerbt. Bis zu seinem Tod war der Vater des Beklagten Betreuer der Leistungsempfängerin. Seit dem 5.2.1990 ist der Beklagte ihr gesetzlicher Betreuer.
Der Erblasser hatte durch Vertrag vom 1.12.1987 die Immobilien Gstraße 00 und Xstraße 00 in I unentgeltlich auf den Beklagten übertragen. Dabei hatte er sich zu seinen Gunsten und zugunsten seiner Ehefrau ein Nießbrauchsrecht an beiden Immobilien vorbehalten und ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsrecht an der Immobilie Gstraße 00 einräumen lassen. Das Nießbrauchsrecht wurde Anfang 2014 im Grundbuch gelöscht.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 5.9.2017 übersandte der Beklagte dem Kläger ein Nachlassverzeichnis aufgrund des Erbfalls nach der Mutter. Daraus ergab sich, dass ein werthaltiger Nachlass nicht vorhanden war. Durch Bescheid vom 9.10.2017 leitete der Kläger Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche der Leistungsempfängerin aufgrund des Erbfalls nach dem Vater auf sich über. Gegen diesen Bescheid legte der Beklagte am 23.10.2017 Widerspruch ein. In dem Widerspruchsbescheid vom 28.5.2018 führte der Kläger aus, dass die Prüfung ergeben habe, "dass Ansprüche auf Zahlung des Pflichtteils nicht mehr bestehen und Ihnen gegenüber keine Forderung aus dem Erbe mehr geltend gemacht wird." Der Widerspruchsbescheid ergehe allein zur Abwendung der’Kostentragungspflicht hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beklagten. Gegen diesen Bescheid erhob der Beklagte beim Sozialgericht Dortmund Klage. In einem Schreiben an das Sozialgericht Dortmund vom 16.7.2018, in dem auf die Überleitungsanzeige vom 9.10.2017 betreffend Ansprüche nach dem Erbfall des Vaters Bezug genommen wird, erklärte der Kläger, dass aus dem übergeleitetem Recht keine Forderungen geltend gemacht werden. Dies sei im Widerspruchsbescheid auch ausdrücklich aufgeführt. Die Klage werde nur wegen der Kostenfrage geführt. Mit Schreiben vom 1.8.2018 betreffend den Erbfall nach dem Vater forderte der Kläger den Beklagten auf, ein Verkehrswertgutachten vorzulegen. Nachdem die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, legte das Sozialgericht mit Beschl. v. 29.11.2018 die Kosten des Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte auf. Mit Bescheid vom 11.3.2019 erfolgte eine erneute Überleitung etwaiger Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche auf den Kläger. Eine weitere Überleitung nahm der Kläger durch Bescheid vom 27.3.2019 noch einmal vor. Mit Schriftsatz vom 8.4.2019 legte der Beklagte dagegen Widerspruch ein, den der Kläger mit Bescheid vom 18.9.2019 zurückwies. Gegen diesen Bescheid legte der Beklagte Anfechtungsklage ein.
Mit Schriftsatz vom 9.1.2019 erhob der Beklagte die Einrede der Verjährung.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Verjährung sei gehemmt gewesen, da ein Vertretungshindernis bestanden habe. Der Beklagte als gesetzlicher Betreuer der Leistungsempfängerin hätte nach dem Tod seines Vaters zunächst Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegenüber seiner Mutter als Verwandte geltend machen müssen. Nach dem Tod der Mutter hätte der Beklagte sodann die Ansprüche der Leistungsempfängerin gegenüber sich selbst geltend machen müssen, da er Alleinerbe der Mutter geworden sei. Daher habe die Verjährung erst ab dem Anspruchsinhaberwechsel durch die Überleitung im Jahr 2017 zu laufen begonnen. In dem Widerspruchsbescheid seien die Sachverhalte nach dem Tod der Mutter und nach dem Tod des Vaters miteinander vertauscht worden. Dies sei für den Beklagten offensichtlich gewesen. Da der Nachlass nach der Mutter negativ gewesen sei, seien keine Ansprüche geltend gemacht worden. Es sei jedoch aufgefallen, dass nach dem Tod des bereits 1989 verstorbenen Vaters Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht gekommen seien.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger ...