Leitsatz
1. Ist mit einem Erbvertrag, durch den der Erblasser den Bedachten zum Erben bestimmt, ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum Erbringen von Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser weitere Verpflichtungen übernimmt (hier: keine Veräußerung oder Belastung seines Hausgrundstücks zu Lebzeiten), so kann Letzterer wegen unterbliebener Pflegeleistungen gemäß § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten.
2. Ein derartiger Rücktritt kommt erst dann in Betracht, wenn der Erblasser den Bedachten unter Fristsetzung zuvor vergeblich aufgefordert hat, die im Einzelnen zu bezeichnenden Pflegeleistungen zu erbringen.
BGH, Beschluss vom 5.Oktober 2010 – IV ZR 30/10
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Erbvertrags in Anspruch. Mit Vertrag vom 15. April 1981 setzte die Klägerin den Beklagten zu ihrem Erben ein. Ferner verpflichtete sie sich, ihr Hausgrundstück ohne Zustimmung des Beklagten weder zu veräußern noch zu belasten. Im Falle eines Verstoßes sollte der Beklagte berechtigt sein, die sofortige unentgeltliche Übertragung des Grundstücks zu verlangen. Der Beklagte seinerseits verpflichtete sich, "die Erschienene zu 1. in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen, ohne dass dafür Geldwertmittel von mir oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden sind".
Der Beklagte wohnte seit 1980 zunächst in einer eigenen Wohnung im Haus der Klägerin, bis er Anfang 1993 auszog. Am 19. April 1999 forderte die Klägerin den Beklagten schriftlich unter Hinweis auf den Erbvertrag auf, bis zum 1. Mai 1999 in ihrer Wohnung vorstellig zu werden. Pflegeleistungen durch den Beklagten wurden in der Folgezeit nicht erbracht. Am 20. Juni 2007 zog die Klägerin in ein Alten- und Pflegeheim, wo sie sich auch gegenwärtig noch aufhält. Am 18. Januar 2008 erklärte sie den Rücktritt vom Erbvertrag unter Berufung darauf, dass sie seit Frühjahr 1999 geringfügig und seit Anfang des Jahres 2005 in größerem Umfang auf Pflege angewiesen gewesen sei. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben.
Aus den Gründen
Die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne weitere Sachaufklärung verletzt den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise und rechtfertigt die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO.
1. Nicht verfahrensfehlerfrei hat das Berufungsgericht zunächst die Feststellung getroffen, die Klägerin sei gemäß §§ 2295, 323 Abs. 1 BGB wirksam vom Erbvertrag zurückgetreten, da der Beklagte seine Pflegeverpflichtung nicht erfüllt habe.
a) Nach § 2295 BGB kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurückzutreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Grundsätzlich finden die Regelungen über gegenseitige Verträge nach § 320 ff BGB, insbesondere über den Rücktritt nach § 323 BGB, auf Erbverträge keine Anwendung, da es am Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der erbrechtlichen Verfügung und der übernommenen Verpflichtung des Vertragserben fehlt (OLG Karlsruhe FamRZ 1997, 1180; LG Köln DNotZ 1978, 685; Staudinger/Kanzleiter, BGB [2006] § 2295 Rn 3; MüKoBGB/Musielak, 5. Aufl., § 2295 Rn 1; Erman/Schmidt, BGB 12. Aufl., § 2295 Rn 8; Soergel/Wolf, BGB 13. Aufl., § 2295 Rn 4; Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag 5. Aufl., § 2295 Rn 6). Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings erkannt, dass hier ein gegenseitiger Vertrag vorliegt. Der Erbvertrag vom 15. April 1981 enthält nicht nur die Erbeinsetzung des Beklagten einerseits und die Pflegeverpflichtung des Beklagten andererseits; vielmehr hat die Klägerin weiter die Verpflichtung übernommen, ihr Hausgrundstück nicht zu veräußern und zu belasten. Zu deren Absicherung haben die Parteien bei Verstoß eine Pflicht zur sofortigen unentgeltlichen Übereignung in den Vertrag aufgenommen und diese zugunsten des Beklagten durch eine Vormerkung abgesichert. Diese Unterlassungspflicht der Klägerin sowie die Pflegepflicht des Beklagten stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis iSv § 323 Abs. 1 BGB. Ist aber mit dem Erbvertrag ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, durch den der Bedachte sich dem Erblasser zur Gewährung von Pflege und/oder Unterhalt verpflichtet, so kann der Erblasser beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten (vgl. bereits RG DNotZ 1935, 678; Staudinger aaO Rn 9; Soergel aaO Rn 4).
b) Unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat das Berufungsgericht jedoch festgestellt, dass der Beklagte seine Vertragspflichten zu keinem Zeitpunkt erfüllt habe und eine Fristsetzun...