Diese Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg hat nunmehr das Landesozialgericht Hamburg für ein Behindertentestament fortgeführt. Im dortigen Fall hatte der Erblasser zur Absicherung seines behinderten Kindes ein Testament errichtet, das übliche Regelungen eines Behindertentestaments enthielt. Das behinderte Kind war lediglich zum Vorerben eingesetzt und ferner war Dauertestamentsvollstreckung mit einer üblichen Verwaltungsanweisung angeordnet. Gleichwohl hob der Sozialhilfeträger, nachdem er Kenntnis vom Erbfall erlangt hatte, den Bescheid, mit dem dem behinderten Kind Leistungen bewilligt worden waren, auf und verwies das behinderte Kind darauf, das ererbte Vermögen zu verwerten. Den Widerspruch des behinderten Kindes wies der Sozialhilfeträger mit dem Argument zurück, das Testament sei wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten offensichtlich nichtig.
Dieser Auffassung des Sozialhilfeträgers ist der Senat mit erfreulich deutlichen und klaren Ausführungen entgegengetreten: Das Gericht führt zunächst aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Konstruktion eines derartigen Behindertentestaments nicht sittenwidrig sei. Zwar sei es zutreffend, dass das Subsidiaritätsprinzip (der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz) der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Staates dienen solle. Grundsätzlich seien Hilfebedürftige verpflichtet, zunächst ihr eigenes Vermögen einzusetzen, bevor sie staatliche Leistungen in Anspruch nehmen. Aus diesem Subsidiaritätsprinzip folge aber nach der zutreffenden Auffassung des Gerichts nicht, dass die Gestaltung eines Behindertentestaments sittenwidrig sei. Der Senat führt insofern aus, es sei zu viel verlangt, von den Eltern eines behinderten Kindes zu erwarten, dass sie die ihnen zuvorderst zukommende sittliche Verantwortung für das Wohl des Kindes dem Interesse der öffentlichen Hand an einer Teildeckung ihrer Kosten hintansetzen. Man müsse sich vielmehr umgekehrt fragen, ob Eltern eines behinderten Kindes nicht sittlich gehalten seien, auch für den Fall vorzusorgen, dass die öffentliche Hand ihre Leistungen für Behinderte nicht mehr auf dem heute erreichten hohen Stand halten könne. Eltern, die hier nach Auswegen suchen und die Gestaltung des Behindertentestaments wählen, könne deswegen regelmäßig kein Sittenverstoß vorgeworfen werden.
Das Landessozialgericht bewegt sich insofern vollkommen auf der vom BGH vorgezeichneten Linie. Es entspricht gerade der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht der Eltern, durch die Gestaltung eines Behindertentestaments sicherzustellen, dass den Kindern eine Nachlassbeteiligung zugewendet wird, auf die der Sozialhilfeträger nicht zugreifen kann.
Der Senat bleibt allerdings nicht bei dieser allgemeinen Überlegung zu der sittlichen Rechtfertigung der Errichtung eines Behindertentestaments stehen, sondern arbeitet vielmehr sehr deutlich heraus, dass die Annahme des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit auch im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Testierfreiheit nicht in Betracht kommt. Hierzu führt das Gericht aus, dass die Testierfreiheit zwar nicht schrankenlos gewährt werde, eine Einschränkung der Testierfreiheit über § 138 I BGB in Betracht zu ziehen, sei allerdings nur dann möglich, wenn sich das Verdikt der Sittenwidrigkeit auf eine klare, deutlich umrissene Wertung des Gesetzgebers oder eine allgemeine Rechtsauffassung stützten könne. Beides verneint der Senat. Der Senat führt insofern aus, dass sich in den sozialhilferechtlichen Vorschriften gerade für Behinderte keine in diesem Sinne konsequente Durchführung des Nachrangs der öffentlichen Hilfe entnehmen lasse. Ebenso fehle es an einer allgemeinen Rechtsüberzeugung, dass Eltern ihrem behinderten Kind jedenfalls von einer gewissen Größe ihres Vermögens an einen über den Pflichtteil hinausgehenden Erbteil hinterlassen müssten. An dieser Stelle mag man sich auch an die eben dargestellte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.1.2011 erinnern. Der BGH argumentiert dort gegen die Sittenwidrigkeit insbesondere auch damit, dass der Gesetzgeber, obwohl die erste Entscheidung des BGH über zwanzig Jahre zurückliegt, nichts unternommen hat, um den Zugriff des Sozialhilfeträgers zu ermöglichen. Gerade auch dieses Untätig bleiben des Gesetzgebers spricht dagegen, in den sozialhilferechtlichen Bestimmungen einen Anhaltspunkt dafür entnehmen zu können, dass die Konstruktion eines Behindertentestaments sittenwidrig wäre.