Die Art. 62 bis 73 EuErbVO enthalten die Regelungen zum Europäischen Nachlasszeugnis ("Zeugnis"). Dieses wird mit der Verordnung als neues Dokument hinsichtlich grenzüberschreitender Erbfälle eingeführt.
1. Allgemeines
Die Verwendung des Zeugnisses wird durch die Verordnung nicht obligatorisch festgesetzt, Art. 62 Abs. 2 EuErbVO. Das Zeugnis verdrängt nicht die innerstaatlichen Schriftstücke, die in den Mitgliedstaaten für ähnliche Zwecke ausgestellt werden (Nr. 67 der Erwägungsgründe).
2. Innerstaatliches Schriftstück Lettlands
Im lettischen Recht ist der Erbschein die maßgebliche Urkunde, die das Recht auf die Erbschaft öffentlich firmiert. Der Notar stellt diesen auf schriftlichen Antrag aus, und zwar sowohl für die testamentarischen als auch für die gesetzlichen Erben. Der Erbschein wird aber nur unter bestimmten Voraussetzungen erteilt. Es muss ein Antrag gestellt werden, die Sterbeurkunde, die Bescheinigung über den letzten Wohnsitz des Erblassers und eine Aufstellung der Erbschaftsgegenstände und deren Bewertung müssen vorgelegt werden (Art. 281 Notariatsgesetz). Außerdem muss ein potenzieller Erbe seine Verwandtschaft im Fall einer gesetzlichen Erbschaft beweisen. Die Verordnung bestärkt zumindest die formelle Anerkennung eines solchen Erbscheins als lettische öffentliche Urkunde. Art. 59 Abs. 1 EuErbVO regelt, dass den in einem Mitgliedstaat errichteten öffentlichen Urkunden in einem anderen Mitgliedstaat die gleiche formelle Beweiskraft wie im Ursprungsmitgliedstaat zukommen soll.
3. Zuständigkeit und Verfahren bei der Erteilung des Nachlasszeugnisses
Art. 64 EuErbVO bestimmt die zuständigen Ausstellungsbehörden. Dies sind grundsätzlich die Gerichte, wenn nicht nach innerstaatlichem Recht eine andere Behörde für Erbsachen zuständig ist. In Lettland übernimmt der Notar die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses (Liste 5 der Angaben gemäß Artikel 78 EuErbVO). Dieser erweiterte Zuständigkeitsbereich des Notars wird in Lettland nunmehr durch die seit dem 29.12.2015 geänderte Fassung des Art. 324 des Notargesetzes geregelt. Das Zeugnis wird nur auf Antrag einer berechtigten Person (Antragssteller) ausgestellt, Art. 65 Abs. 1 EuErbVO. Das sind neben den Erben auch die Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass sowie Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter (Art. 63 Abs. 1 EuErbVO). Die Verordnung bestimmt, dass vorgefertigte Formblätter zu verwenden sind (Art. 80 EuErbVO). Die anzuwendenden Vordrucke werden durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 der Kommission vom 9.12.2014 festgelegt. In Lettland haben die Notare das in Anhang 4 der Richtlinie beigefügte Formblatt IV zu verwenden, Art. 324.9. des Notargesetzes.
4. Wirkungen des Europäischen Nachlasszeugnisses
Das Zeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Anerkennungsverfahrens bedürfte (Art. 69 Abs. 1 EuErbVO). Ihm kommt überdies eine Gutglaubenswirkung zu (Art. 69 Abs. 2 EuErbVO) und es gilt als wirksame Grundlage für die Eintragung des Erben in das maßgebliche Register des Mitgliedstaates (Art. 69 Abs. 5 EuErbVO). In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Verordnung ausdrücklich nicht die Frage über die Eintragungen von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register erfasst (Art. 69 Abs. 5, Art. 1 Abs. 2 lit. k EuErbVO). Bei einer solchen Eintragung in ein Register ist daher gemäß Nr. 18 der Erwägungsgründe auf das Recht der belegenen Sache (lex rei sitae) zurückzugreifen. Da dieser Regelungsbereich von der Verordnung ausgenommen ist, müssen in Lettland hinsichtlich der Eintragung noch einige Verfahren geregelt werden. So befinden sich beispielsweise die Änderungen, die im Grundbuchgesetz vorgenommen werden sollen, noch auf der Stufe eines Gesetzesentwurfs. Es soll vor allem eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, um zukünftig auch auf Grundlage des Europäischen Nachlasszeugnisses den Titel an einer sich in Lettland befindlichen Immobile im Grundbuch eintragen zu lassen.
5. Rechtsbehelfe
Die Entscheidungen des Notars hinsichtlich der Erstellung des Zeugnisses können von jeder Person, die auch antragsberechtigt wäre, angefochten werden, Art. 72 Abs. 1 EuErbVO. Zuständigkeit und Verfahren richten sich nach Art. 72 Abs. 1 S. 3 EuErbVO. In einer entsprechenden Mitteilung gegenüber der Kommission nach Art. 78 EuErbVO wurde erneut das Bezirks- bzw. Stadtgericht (Rajona [Pilsēta] tiesa) als zuständige Behörde angegeben. Überdies wurde ein Verfahren bestimmt, nach dem das Zeugnis vor Gericht mit dem Antrag angefochten werden kann, die in dem Zeugnis genannten Tatsachen für nichtig zu erklären. Sind zivilrechtliche Ansprüche verletzt, können prozessfähige Personen im Rahmen dieses Verfahrens die entsprechenden Ansprüche geltend machen. Voraussetzung ist, dass dem Gericht ein schriftlicher Antrag in so vielen Ausfertigungen zugeht, wie es Antragsgegner und Dritte gibt. Der Antrag muss den Sachverhalt enthalten, auf den die Ansprüche...