Die Gruppe bedürftiger Eltern besteht nicht nur aus solchen Personen, die (pflege-)bedürftig sind, sondern auch aus solchen Eltern, die behindert im Sinne des § 2 SGB IX sind und aus diesem Grund Eingliederungshilfemaßnahmen benötigen. Eingliederungshilfebedürftige Eltern waren bisher ein besonderes und durchaus vernachlässigtes Problem, weil sie in der Regel bereits in jüngeren Jahren hilfebedürftig wurden und so unabsehbar lange Zeiten der Elternunterhaltspflicht produziert haben.
Eltern, die wegen ihrer Behinderung Eingliederungshilfe beziehen (§§ 53 ff. bis zum 31.12.2019) haben jetzt durch das Bundesteilhabegesetz ab 1.1.2020 eine völlige Neuregelung erfahren. Durch das neue Bundesteilhabegesetz wurde die Eingliederungshilfe aus dem allgemeinen "Fürsorgesystem" des SGB XII herausgeführt und ins SGB IX ausgegliedert. Das bedeutet, dass man bei behinderten Eltern zukünftig konsequent die notwendigen Bedarfe aufteilt und entsprechenden Leistungen, Gesetzen und Leistungsträgern zuordnen muss. Gedeckt wird
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der Bedarf an existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt (Existenzsicherung) aus dem SGB II oder SGB XII |
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der behinderungsbedingte Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe (Fachleistung) aus dem SGB IX (Bundesteilhabegesetz) |
§ 93 SGB IX n.F. bestimmt dazu, dass die Vorschriften über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch (SGB II = Hartz IV) sowie über die Hilfen zum Lebensunterhalt und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch (§§ 27 ff. und §§ 41 ff. SGB XII) unberührt bleiben. Die Existenzsicherung wird also für bedürftige behinderte Menschen, weiterhin durch die Leistungen der Grundsicherung und der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII geleistet. Es gelten die Einkommens- und Vermögensberücksichtigungsregeln des SGB XII weiter (siehe oben).
Für die Fachleistung "Eingliederungshilfe" gelten demgegenüber die §§ 90 ff. SGB IX. § 92 SGB IX n.F. regelt, dass der Hilfeempfänger zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach Maßgabe des Kapitels 9 (§§ 135 ff. SGB IX n.F.) einen Beitrag zu leisten hat. Dieser Eigenbeitrag wird seit dem 1.1.2020 mit neuen – vom SGB II und SGB XII unterschiedlichen Regeln zur Einkommens- und Vermögensanrechnung – ermittelt. Der Gesetzgeber spricht – insoweit – von einem "grundlegenden Systemwechsel", der sich wie folgt darstellt:
Nach § 136 SGB IX (Beitrag aus Einkommen zu den Aufwendungen) hat der Bedürftige für Leistungen der Eingliederungshilfe einen Beitrag zu den Aufwendungen aufzubringen, wenn das Einkommen im Sinne des § 135 der antragstellenden Person die in Absatz 2 geregelten Beträge übersteigt. § 135 SGB IX (Begriff des Einkommens) bezieht sich aber auf die Summe der Einkünfte des Vorvorjahres nach § 2 Absatz 2 des EstG. Einzusetzendes Einkommen des eingliederungshilfebedürftigen Elternteils ist also anders als in §§ 82 ff. SGB XII nicht mehr alles, was zufließt (also auch Unterhalt), sondern es sind nur noch die Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 2 EStG. Hierzu kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Ob Elternunterhalt steuerrechtlich eine Einkunft ist, ergibt sich aus § 2 EStG. § 2 Abs. 2 Nr. 2 stellt auf die "anderen Einkunftsarten" ab. § 8 EStG regelt, dass Unterhalt nach § 1603 BGB keiner der Einkunftsarten des § 2 EStG unterfällt. Unterhaltszahlungen aufgrund einer gesetzlichen Unterhaltspflicht werden in § 22 EStG ausdrücklich von der Steuerpflicht ausgenommen:
Zitat
"Werden Bezüge freiwillig oder aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gewährt, so sind sie nicht dem Empfänger zuzurechnen und stellen daher keine steuerrechtlichen Einkünfte dar."
Elternunterhaltsansprüche eines behinderten Elternteils, der Eingliederungshilfe bezieht, spielen insoweit seit 1.1.2020 unabhängig von einer irgendwie gearteten steuerlichen Einkommensgrenze keine Rolle mehr. Lediglich für die existentiellen Elementarbedarfe wie die Grundsicherung (§§ 41 ff. SGB XII), kommt es dann noch auf die 100.000-Euro-Grenze an. Nur wenige Kinder werden jetzt noch für Grundsicherungsleistungen oder Hilfe zum Lebensunterhalt zahlungspflichtig sein; für den Großteil der Unterhaltspflichtigen wird sich der in § 94 Abs. 1a SGB XII geregelte Verzicht auf den Sozialhilferegress wegen Unterschreitens der 100.000 EUR auswirken.
Auch für diese Differenzierung zwischen behinderten und pflegebedürftigen Eltern lässt sich keine Rechtfertigung finden. Es ist vielmehr so, dass behinderte Eltern die Allgemeinheit sogar mehr kosten als pflegebedürftige Eltern, denn hier findet in der Regel keine teilweise Bedarfsdeckung durch die Pflegekasse statt.