In der Entscheidung des Reichsgerichts vom 5.1.1922 – IV 280/21 musste der Testamentsvollstrecker den Betrieb einer Fabrik aufrechterhalten, die Erbin verlangte aber "standesgemäßen Unterhalt" aus den Erträgen. Das RG stellte zunächst klar, dass der Anspruch auf die Nutzungen nicht deshalb verschwindet, weil der Testamentsvollstrecker "sie zur Masse schlägt oder anderweit über sie verfügt." Für die Frage der Nutzungsherausgabe gilt § 2116 Abs. 1 BGB und nicht § 2217 Abs. 1 BGB und aus dem Grundsatz des § 2216 Abs. 1 BGB folgt, "dass der Testamentsvollstrecker, soweit die Einkünfte zur Aufrechterhaltung des Betriebs der Fabrik nötig sind, sie dazu verwenden darf. Er muss allerdings in erster Linie darauf bedacht sein, der Erbin die Bestreitung eines standesgemäßen Unterhalt zu ermöglichen." Aus der ausführlicheren Veröffentlichung in der Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern geht zusätzlich hervor, dass im Sachverhalt keine besondere letztwillige Verfügung über die Nutzungen vorlag und das Gericht ohne Weiteres annahm, dass das Verwaltungsrecht nach § 2216 Abs. 1 BGB auch die Nutzungen einschloss. Die dann folgende Passage ist im Wortlaut ähnlich und in der Sache mit der obigen identisch:
Zitat
"Wie das LG mit Recht annimmt, ist also der Bekl. als TV. nicht ohne weiteres verpflichtet, die Einkünfte an die Erben abzuführen. Soweit sie zur Aufrechterhaltung des Betriebs der Fabrik nötig sind, darf er sich dazu verwenden. Andererseits muss er in erster Linie darauf bedacht sein, der Erbin die Bestreitung eines standesgemäßen Unterhalts zu ermöglichen. So ist der Bekl. auch verfahren."
Dass der Testamentsvollstrecker "in erster Linie" für den Erbenunterhalt sorgen müsse, ist das Gegenteil dessen, was der BGH seit seinem Grundsatzurteil BGHZ 25, 275 judiziert hat. Die Rechtsauffassung des RG steht eindeutig im Widerspruch zu der des BGH, der anders als das RG allein das objektive Nachlassinteresse mit seinem Entscheidungsspielraum für den Testamentsvollstrecker als Maßstab für das Verwaltungshandeln festlegte. Dieses Urteil des RG ist daher heute nur insoweit noch von Bedeutung, als es den Unterhalt des Erben als Ausnahme-Fallgruppe benannt hat.
Fazit zu dieser Entscheidung: ein "Anspruch" des Erben auf Unterhalt aus den Nutzungen kann damit seit BGHZ 25, 275 nicht mehr begründet werden, auch wenn im Schrifttum der Eindruck entsteht, dies sei anders. Für uns noch rechtlich relevant aus diesem Urteil ist allein, dass das RG hier konsequent nach und aufgrund des Urteils vom 27.5.1918 die Bedürftigkeit und den Unterhalt des Erben selbst als Belang anerkannt hat, den der Testamentsvollstrecker bei seiner Ermessensentscheidung nach § 2216 Abs. 1 im Sinne von BGHZ 25, 275 ggf. zu beachten hat.