II.

Die Beschwerde ist nach den §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 ist stattzugeben. Sie ist aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 10.10.1994 Alleinerbin nach dem Erblasser geworden. Der Beteiligte zu 2 ist infolge der auf ihn anzuwendenden Pflichtteilsstrafklausel in Ziffer III. der angeführten Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen. Der Beteiligte zu 2 hat nach dem Tod der erstverstorbenen Mutter den Pflichtteil verlangt.

a) Der auf Enterbung beruhende Pflichtteilsanspruch kann, wenn er auf den Sozialhilfeträger übergeleitet worden ist, von diesem auch geltend gemacht werden, ohne dass es insoweit auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankäme (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.2005 – IV ZR 235/03, NJW-RR 2006, 223, 224).

Vorliegend hat der R. Kreis den Pflichtteilsanspruch des Beteiligten zu 2 durch Bescheid vom 30.11.2012 (AS. I/187 ff.) wirksam gemäß § 93 SGB XII in Höhe seiner Aufwendungen auf sich übergeleitet und mit Schreiben vom 8.8.2013 in Höhe von 26.674,28 EUR gegenüber dem Erblasser geltend gemacht.

b) Dies führt zum Eingreifen der Pflichtteilsstrafklausel. Die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments (§ 133 BGB) ergibt, dass auch eine Geltendmachung durch den Sozialhilfeträger die in der Klausel ausgeprochenen Rechtsfolgen auslösen soll. Dies folgt aus ihrem Sinn und Zweck.

aa) Bei einer Pflichtteilsklausel, wie sie hier vorliegt, soll regelmäßig das gemeinsame Vermögen der Testierenden als Absicherung für den überlebenden Ehegatten zusammengehalten werden (BGH, Urt. v. 11.3.2015 – IV ZR 400/14, NJW 2015, 1382; OLG Hamm, Urt. v. 28.2.2013 – 10 U 71/12, NJW-RR 2013, 779, 780; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl., § 2074 Rn 46). Außerdem soll eine Ungleichbehandlung der testamentarisch eigentlich gleichberechtigten Erben vermieden werden (OLG Schleswig, Beschl. v. 24.1.2013 – 3 Wx 59/12, DNotZ 2013, 461, 464; juris-PK/Reymann, 9. Aufl., § 2269 Rn 79). Weitere subjektive Voraussetzungen, etwa ein bewusstes Auflehnen gegen den Erblasserwillen, sind regelmäßig nicht erforderlich (BayObLG, Beschl. v. 20.1.2004 – 1 Z BR 134/02, BayObLGZ 2004, 5, 9; OLG München, Beschl. v. 29.3.2006 – 31 Wx 7/06, ZEV 2006, 411, 412; OLG Schleswig, Beschl. v. 24.1.2013 – 3 Wx 59/12, DNotZ 2013, 461, 464 m.w.N.; Staudinger/Kanzleiter, BGB [2019], § 2269 Rn 58). In dem Testament sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Ehegatten mit der Pflichtteilsstrafklausel weitere Zwecke erfolgt haben. Insbesondere findet sich kein Hinweis darauf, dass die Klausel nur bei einem bewussten Auflehnen gegen den Erblasserwillen eingreifen soll.

bb) Danach führt die Geltendmachung des übergeleiteten Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger zum Eingreifen der Pflichtteilsstrafklausel.

(1) Die Pflichtteilsstrafklausel wird hier ihrer Schutzfunktion für den überlebenden Ehegatten nur dann gerecht, wenn sie auch bei der Geltendmachung des übergeleiteten Anspruchs durch den Sozialhilfeträger Anwendung findet. Ohne ihre Sanktion wäre es für den Sozialhilfeträger von Vorteil, bereits nach Tod des erstverstorbenen Ehegatten den Pflichtteil zu fordern. Da ihm dann auch der Zugriff auf den Erbteil nach dem längerlebenden Ehegatten offenstünde, würde er so zusätzlich an dem Nachlass partizipieren. Dies hätte auch eine Ungleichbehandlung der testamentarisch eigentlich gleichberechtigten Beteiligten zu 1 zur Folge.

(2) Eine einschränkende Auslegung der Pflichtteilsklausel, wie sie der Bundesgerichtshof im Falle der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch einen Sozialhilfeträger bei sog. "Behindertentestamenten" gebilligt hat, ist außerhalb dieser Fallgestaltungen nicht angezeigt (OLG Hamm, Urt. v. 28.2.2013 – 10 U 71/12, NJW-RR 2013, 779, 780; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl., § 2074 Rn 46; jurisPK-BGB/Reymann, 9. Aufl., § 2269 Rn 89; Horn/Kroiß/Solomon/Hußmann, Nachfolgerecht, 2. Aufl., § 93 SGB XII Rn 25; iE auch Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht, 4. Aufl., Rn 130). In dem dort entschiedenen Fall hatten die Testierenden über eine Sicherung des überlebenden Ehegatten und eine Gleichbehandlung aller Kinder im Schlusserbfall hinaus das Ziel verfolgt, das Erbe der behinderten Tochter möglichst vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu bewahren. Eine einschränkende Auslegung der Verwirkungsklausel war geboten, weil deren wortgetreue Anwendung zu dem widersinnigen Ergebnis geführt hätte, dass der Zugriff auf den Nachlass des erstverstorbenen Elternteils dem Sozialhilfeträger den ansonsten versperrten Zugriff auf den Nachlass des letztversterbenden Elternteils überhaupt erst eröffnet hätte (BGH, Urt. v. 8.12.2004 – IV ZR 223/03, NJW-RR 2005, 369, 370; vgl. auch BGH, Urt. v. 19.10.2005 – IV ZR 235/03, NJW-RR 2006, 223). So liegt es hier – wie ausgeführt – gerade nicht.

cc) Ein davon abweichender gemeinsamer Wille der Testierenden kann entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts nicht deswegen angenommen werden, ...

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