Bei schönstem, sonnigen Herbstwetter fand am 1./2.10.2021 die "Jahrestagung des VorsorgeAnwalt e.V. 2021" in Berlin statt. Geboten wurde ein bunter Themenpotpourri, so u.a. Vorsorgemissbrauch, die Neuregelung der Sterbehilfe nach dem Urteil des BVerfG zu § 217 StGB, Demenzerkennung und natürlich die Reform des Betreuungsrechts mit ihren Auswirkungen auf das Vorsorgerecht. Unter der Leitung des Geschäftsführers Dr. Dietmar Kurze übernahm Frau Rechtsanwältin Victoria Riedel die Moderation.
I. Noch vor dem eigentlichen Veranstaltungsbeginn um 10.00 Uhr bestand die Möglichkeit, einem "Early-Bird-Vortrag" der Geschäftsführerin des Vereins Home Care Berlin e.V., Frau Ulla Rose, zum Thema "SAPV – Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung, Praxis und rechtliche Hintergründe" beizuwohnen. Geschildert wurde, dass der Anknüpfungspunkt für die Palliativmedizin das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung ist. Klassische Palliativpatienten sind grundsätzlich keine hochaltrigen Menschen, sie können aber dazu werden, wenn belastende Symptome wie z.B. schwere Atemnot bei Lungenerkrankungen, Schmerzzustände aufgrund degenerativer Erkrankungen oder anderes dazukommen. Palliativversorgung ist eine Kassenleistung; es gibt einen bundeseinheitlichen SAPV-Rahmenvertrag und die jeweiligen Länderregelungen. Ferner werden in allen Bundesländern "Letzte-Hilfe-Kurse" angeboten. Unter anderem lernt man dort, dass es nicht gut ist, einem Sterbenden noch Flüssigkeit zuzuführen, weil dieser die Flüssigkeit nicht mehr über die Nieren ausscheiden kann.
II. Im Anschluss daran begann der Vortrag von Dr. med. Michael de Ridder, einem der Kläger vor dem BVerfG gegen § 217 StGB. Er referierte zu dem Vortrag "Medizinische Entscheidungen am Lebensende – Patientenwille gleich Patientenwohl?" Seiner Meinung nach sollten Ärzte "Geburtshelfer der Patientenautonomie" sein. Der hohe normative Wert der Patientenautonomie mag heute vielen selbstverständlich sein, diese Freiheiten wurden jedoch von Juristen erkämpft. Er erinnerte daran, dass seit einer Reichsgerichtsentscheidung im Jahr 1894 jeder ärztliche Eingriff am Patienten, der in dessen körperliche Unversehrtheit eingreift, als objektiv tatbestandsmäßige Körperverletzung verortet wurde, lediglich durch Einwilligung gerechtfertigt ist. Heute ist die ärztliche Fürsorge dem Willen des Patienten untergeordnet.
III. Weiter ging es mit Dr. Carina Dorneck, Wiss. Mitarbeiterin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, mit ihrem Vortrag "Sterbehilfe nach dem Urteil des BVerfG zu § 217 StGB". Zunehmend werden die Ausweitung und Stärkung der Selbstbestimmung am Lebensende in den Fokus gestellt. Aber es gibt diesbezüglich auch Rückschritte wie im Jahr 2015 eine Rechtsprechung zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidhilfe im Hinblick auf § 217 StGB sowie die Restauration der "Wittig"-Rechtsprechung vom OLG Hamburg aus dem Jahr 2016. Eingegangen wurde auch auf eine Rechtsprechung des BVerwG vom 2.3.2017, das den Zugang zu Betäubungsmitteln für eine freiverantwortliche Selbsttötung in extremen Ausnahmefällen erlaubt. Die Reaktion auf dieses Urteil war eine erhebliche "Urteilsschelte" durch den Deutschen Ethikrat, das Di Fabio-Gutachten sowie den Nichtanwendungserlass durch das BGM. Der Paukenschlag war in allem aber das Urteil des BVerfG vom 26.2.2020, in dem das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verfassungsrechtlich geschützt wurde. Erstmals wurde das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben anerkannt. Dies ist Ausdruck der persönlichen Autonomie und der Menschenwürde und in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG verankert.
IV. Im Anschluss daran fand eine Podiumsdiskussion statt, an der Dr. med. Michael de Ridder, Dr. Carina Dorneck und die Rechtsanwältin Frau Victoria Riedel teilnahmen. An Dr. Ridder sind in den letzten Jahren sehr viele Menschen herangetreten, ungefähr 130 – 160, mit Suizidwunsch. Im Hinblick auf beratende Gespräche ist wichtig, dass man die Patienten über eine lange Zeit kennt, um dann "guten Gewissens" die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Schließlich geht es um eine irreversible Entscheidung. Freiverantwortlichkeit, Wohlerwogenheit und die zeitliche Konstanz sind wichtige Kriterien, das sieht Frau Dr. Dorneck genauso wie Dr. de Ridder. Aus dem Publikum kam der Einwand, dass viele Menschen keine Sterbehilfe, sondern vielmehr Lebenshilfe bräuchten. Als Beispiel hierfür wurde der Fall eines 22-jährigen Mädchens genannt, das Liebeskummer hat und sich deswegen suizidieren möchte. Alle Teilnehmer waren sich dahingehend einig, dass gerade im Hinblick auf solche Fälle die Suizidprävention mittels Beratungsstellen unbedingt ausgeweitet werden muss. Vermieden werden muss auch, dass man sich vor den Zug werfen muss, weil einem anderweitig nicht geholfen wird. Bedauerlich in diesem Zusammenhang ist, dass es derzeit sehr lange dauert, um einen Termin beim Psychotherapeuten/Psychiater zu bekommen. Das ist nicht hinnehmbar. Angesprochen wurden auch die holländische Konzeption und das ameri...