Erbunwürdigkeit kommt in der Praxis selten vor. Der "gewöhnliche Erbschleicher", der einen wohlhabenden Erblasser dazu bringen möchte, ihm sein Vermögen oder Teile davon zukommen zu lassen, ist weit davon entfernt, erbunwürdig zu sein. Das liegt an den strikten Voraussetzungen, die das Gesetz für die Erbunwürdigkeit fordert: Entweder muss der Erbunwürdige eine schwere Straftat gegen Leib und Leben des Erblassers verübt haben. Oder er muss eine Manipulation einer letztwilligen Verfügung vorgenommen haben. Klassisch ist die Fälschung eines Testaments oder auch die Nutzung eines anderweitig gefälschten oder sonst unwirksamen Testaments. Im letzteren Fall geht es um die Verwirklichung einer sog. "mittelbaren Falschbeurkundung" nach § 271 StGB, bei der der Erbunwürdige mit einem unwirksamen Testament versucht, einen Erbschein zu seinen Gunsten zu erhalten. Auch dies führt zur Erbunwürdigkeit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Um einen solchen Fall ging es in dem Urteil des LG Kassel.
Eine Tochter hatte nach dem Tod ihrer Mutter bei dem Nachlassgericht einen verschlossenen Umschlag abgeliefert, der die Aufschrift "Testament" trug. Darin befand sich ein Schriftstück, das teilweise von der verstorbenen Mutter stammte. Die Manipulation war sehr auffällig. Insbesondere war anhand des Schriftbilds offensichtlich, dass der Text und die Unterschrift von verschiedenen Personen geschrieben worden waren. Die Buchstaben sahen völlig unterschiedlich aus, und die Neigung der Schrift vollzog sich in verschiedenen Richtungen. Gleichwohl eröffnete das Nachlassgericht das Schriftstück als Testament.
Der Nachlassrichter wies den von der Tochter gestellten Antrag auf Alleinerbschaft zurück und erlegte ihr alle Verfahrenskosten auf, auch diejenigen des Anwalts ihrer Schwester, da es sich bei dem Schriftstück nicht um ein eigenhändiges Testament der Mutter handele.
Es war nicht klar, wer das Testament gefälscht hatte. Wäre dies der Tochter nachgewiesen worden, hätte sie sich der vollendeten Urkundenfälschung (§ 267 StGB) schuldig gemacht, die Herstellung genügt dafür (vgl. etwa: BeckOK/Müller-Christmann, BGB, § 2339 Rn 16). Demgegenüber wäre die mittelbare Falschbeurkundung (§ 271 StGB) erst mit Erteilung des Erbscheins vollendet gewesen (vgl. BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, StGB § 271 Rn 15). Der Versuch genügte dem LG Kassel für das Verdikt der Erbunwürdigkeit. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
In der Literatur ist bis dato umstritten, ob der Versuch des § 271 StGB für eine Erbunwürdigkeit ausreicht (dafür: BeckOGK/Rudy, Stand 1.3.2022, BGB, § 2339 Rn 29; Schulze, BGB, § 2339 II. 5; Kroiß/Ann/Mayer, BGB, § 2339 Rn 12; Burandt/Rojahn/Müller-Engels, Erbrecht, BGB, § 2339 Rn 37 a.E.; nur wenn der Versuch geeignet sei, den Erblasserwillen zu "verdunkeln": MüKo-BGB/Helms, § 2339 Rn 28; dagegen: Bartholomeyczik, Urteilsanmerkung zu LG Ravensburg, NJW 1955, 797). Aus der Entstehungsgeschichte der Norm lässt sich dafür nichts entnehmen: Einerseits ist die Strafbarkeit des Versuchs bei § 271 StGB erst nachträglich durch das 1. StrRG in das StGB eingeführt worden, sodass der BGB-Gesetzgeber diese nicht kannte. Andererseits hat der Gesetzgeber den Versuch in § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ausdrücklich erwähnt (vgl. dazu: Damrau/Tanck/Kurze, Erbrecht, § 2339 Rn 27).
Das LG leitet sein Ergebnis daraus ab, dass § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB auf § 271 StGB insgesamt verweist, also auch auf dessen Absatz 4, wonach der Versuch strafbar ist.
Nach meiner Einschätzung erscheint in der Praxis nicht handhabbar die Auffassung, die eine "Verdunkelung" des Erblasserwillens für die Versuchsstrafbarkeit fordert. Es wird kaum je zu klären sein, was der "wirkliche" Wille des Erblassers gewesen ist, nämlich ob die in dem manipulierten Testament enthaltene Regelung seinem Willen entspricht oder seine früher niedergeschriebene Regelung oder die gesetzliche Erbfolge.
Zutreffender scheint mir vor dem Hintergrund der obigen Gesetzesgeschichte ein Gesichtspunkt aus der Praxis zu sein: Würde man den Versuch des § 271 StGB von der Folge der Erbunwürdigkeit ausnehmen, käme es trotz einer Handlung in Richtung daraufhin, einen falschen Erbschein zu erwirken, selten zur Erbunwürdigkeit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Denn die Vollendung des Delikts tritt erst mit der Erteilung des Erbscheins ein (s.o.). Normalerweise jedoch werden Fälschungen entdeckt, sodass manipulierte "Testamente" selten zu einem Erbschein führen werden: Das Nachlassgericht selbst wird nämlich handschriftliche Urkunden zumindest grob daraufhin prüfen, ob diese sich dem äußeren Anschein nach als Handschrift des Erblassers darstellen. Das hat das Nachlassgericht hier getan und ist ohne Zutun der anderen Beteiligten zu dem Ergebnis gelangt, dass ein gefälschtes Testament vorlag. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, werden die anderen Beteiligten handschriftliche Dokumente daraufhin prüfen, ob es sich tatsächlich von Anfang bis Ende um die Schrift des Erblassers handelt, oder ob die Buchstaben oder Formulierungen "verdächtig" aussehen, s...