Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 12.10.2023 (C-21/22, FamRZ 2024, 221) betrifft zunächst einen scheinbar vom deutschen Rechtskreis geografisch weit entfernt liegenden Fall. Die Europäische Erbrechtsverordnung, die für alle Sterbefälle ab 17.8.2015 gilt, ließ zu diesem Datum bereits bestehende Staatsverträge der Vertragsstaaten ausschließlich mit sog. "Drittstaaten", nicht mit anderen Unterzeichnerstaaten, weitgehend in Kraft. Nicht nur der Drittstaat, sondern auch der Anwenderstaat der Verordnung müsste danach bei der Bestimmung des international maßgeblichen Erbstatuts ganz anderen Grundsätzen folgen, als es ggf. nach der EU-ErbVO der Fall wäre. Dort gilt Nachlasseinheit, Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts, ggf. abweichende Rechtswahl zum Staatsangehörigkeitsrecht und – außer bei Verweis auf die Rechtsordnung eines Nichtanwenderstaats (Art. 21, 34 EU-ErbVO) – ein bloßer Sachverweis in ein ausländisches Erbrecht, nicht aber etwa der Gesamtverweis unter Einschluss von IPR-Kriterien des ausländischen Staats.
In dem zu entscheidenden Fall bestand und besteht ein Staatsvertrag zwischen dem EU-Mitglieds- und Unterzeichnerstaat der EU-ErbVO Polen und der außenstehenden Ukraine. Danach kann unstreitig ein Erblasser keine Rechtswahl zum Staatsangehörigkeitsrecht treffen; vielmehr gilt für eine hier einzig relevante polnische Immobilie eines ukrainischen Erblassers mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Ukraine Lagerecht. Wäre der bilaterale Vertrag ausschließlich maßgeblich, wäre eine Rechtswahl verboten. Die Erblasserin wollte gerade diese Rechtswahl zu ihrem ukrainischen Staatsangehörigkeitsrecht treffen und berief sich darauf, dass aus Sicht des hier eingeschalteten polnischen Notariats, also einer Behörde des Anwenderstaats der EU-ErbVO, die Rechtswahl aufgrund einer Überlagerung des bilateralen Staatsvertrags durch die multilaterale EU-ErbVO zuzulassen sei. Im Ergebnis bestätigte der EuGH – nach Weigerung des Notariats, Klage und Vorlage – diese Auffassung der Klägerin.
Nunmehr fragt ZErberus, was der (s.o.) scheinbar weit entfernte Fall mit dem deutschen Rechtskreis zu tun hat. Rätsel, Rätsel … Auch Deutschland hat insgesamt drei Staatsverträge geschlossen, mit dem Iran (ursprünglich dem Kaiserreich Persien), der Türkei und den UdSSR-Nachfolgestaaten (ursprünglich der UdSSR). Im Staatsvertrag der Türkei gilt Wohnsitzrecht für bewegliches Vermögen des Erblassers und Lagerecht für unbewegliches Vermögen. Ein Erblasser mit Wohnsitz in der Türkei wäre deshalb für deutschen Grundbesitz dem deutschen Erbrecht unterworfen. Nach dem EuGH-Entscheid kann er nunmehr eine Rechtswahl zu seinem türkischen Staatsangehörigkeitsrecht treffen (wie auch zu jedem anderen Recht einer alternativen oder kumulativen Staatsangehörigkeit, außer – faktisch – der nicht das Ergebnis ändernden deutschen). Das materielle Ergebnis "tut nicht weh", weil das türkische Zivilrecht dem Schweizer ZGB nachgebildet ist und dessen Ergebnisse unter "ordre-public-Grundsätzen" dem deutschen Recht wohl kaum wesensfremd erscheinen.
Im Staatsvertrag mit ursprünglich der UdSSR von 1956 war – insofern unvollständig – ausschließlich unbewegliches Vermögen geregelt worden und dies ist auch hier dem Lagerecht unterworfen. Ein russischer Staatsangehöriger, sofern er zugleich eine in Russland ansässige Person ist (wegen des persönlichen Anwendungsbereichs des Staatsvertrags), kann deshalb das deutsche Erbrecht für eine Immobilie im direkten Eigentum in der traditionell von Angehörigen dieser Nationalität gern aufgesuchten Kurbäderstadt Baden-Baden abwählen und das russische Erbrecht wählen. Hier sind die Ergebnisse – auch wenn das als "ordre-public-Verstoß" anzusehende Staatserbrecht kommunistischer Staaten nicht mehr gilt – ggf. im Einzelfall schon genauer zu hinterfragen.
Im Staatsvertrag mit dem Iran gilt wechselseitig ausschließlich bei Nachlasseinheit das Staatsangehörigkeitsrecht. Auch wenn der EuGH einen Fall mit Rechtswahl beschied, erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein in Deutschland lebender Iraner vor deutschen Gerichten unter Berufung auf die EU-ErbVO das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts für sich als maßgebliches Erbrecht beansprucht. So ließe sich, was von deutschen Gerichten – mit "ordre-public-Vorbehalt – sonst zu beachten wäre, das interpersonell und religiös stark gespaltene, auf der Scharia fußende iranische Erbrecht ausschalten."
Hingewiesen sei darauf, dass so die wieder im IPR früher bekannten "hinkenden Rechtsverhältnisse" entstehen. Denn nur der Anwenderstaat der Verordnung kann im Einzelfall gezwungen werden, das Abkommen einseitig "osmotisch" zu überspielen. Der Drittstaat wird, wenn er den Staatsvertrag noch uneingeschränkt anwendet, immer nach dessen Kriterien entscheiden, wobei diese zumeist wegen dessen älteren Datums strenger sind.
Zerberus meint: Manchmal ergeben sich aus sehr unauffälligen Fällen "weit weg vom Schuss" jedenfalls in der multinationalen EU sehr interessante Fernwirkungen auf d...