Begriff der Erbschaft in den §§ 2353, 2369 BGB
Aus den §§ 2353, 2369 BGB ergibt sich, dass ein Erbschein für eine "Erbschaft" zu erteilen ist. Von großer praktischer Bedeutung und dogmatischem Interesse ist dabei, wie dieser Begriff in den verfahrensrechtlichen Normen der §§ 2353, 2369 BGB auszulegen ist. In Betracht kommt dabei eine Interpretation im Sinne der materiellrechtlichen lex fori, weiter eine verfahrensrechtlich autonome und schließlich eine Interpretation lege causae.
Die bisherige Rechtsprechung scheint eine verfahrensrechtlich autonome Auslegung nahe zu legen. Denn nach ihr ist in Fällen, in denen deutsches Erbrecht nur zur zum Teil auf die Erbschaft anwendbar ist (Nachlassspaltung), die Aufnahme eines Geltungsvermerks im allgemeinen Erbschein zwingend. Ein Erbschein nach § 2353 BGB ohne Geltungsvermerk sei unrichtig, denn die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte bestehe nur für den deutschem Recht unterliegenden Nachlass. Ein Erbschein ohne Geltungsvermerk unterliege daher der Einziehung, § 2361 BGB. Demnach bezeugt das auszustellende Zeugnis also prinzipiell – trotz Nachlassspaltung – nicht nur die Rechtsnachfolge bezüglich des deutschen Erbrechts unterliegenden Spaltnachlasses, sondern auch in Bezug auf andere Spaltnachlässe. Ähnlich umfassend scheint auch die Begründung zum Regierungsentwurf die Reichweite des Erbscheins zu verstehen.
Demgegenüber scheint eine Auslegung des Begriffs der Erbschaft im Sinne der materiellrechtlichen lex fori überlegenswert. Dem liegt folgender Gedankengang zugrunde:
Es handelt sich zwar beim Begriff der Erbschaft in den §§ 2353, 2369 BGB um einen Begriff des Verfahrensrechts, dieses versteht den Begriff jedoch im Sinne des materiellen Rechts und zwar im Sinne der materiellen lex fori. Das Begriffsverständnis des deutschen materiellen Rechts wird sozusagen in das Verfahrensrecht "hineingezogen". Dies ergibt sich schon daraus, dass das inländische Nachlassverfahrensrechts zur Verwirklichung des materiellen Erbrechts des BGB gedacht ist. Nach diesem entspricht der Begriff der Erbschaft inhaltlich dem des Nachlasses. Hierunter ist wiederum das gesamte (vererbliche) Vermögen des Erblassers (bona defuncti) zu verstehen. Der Begriff der Erbschaft wird im Unterschied zu dem des Nachlasses vom BGB dann gebraucht, wenn das nachgelassene Vermögen zugleich mit dem Erben in Beziehung gebracht werden soll.
Für die Frage, was man nun unter dem gesamten nachgelassenen Vermögen zu verstehen hat, ist das IPR heranzuziehen. Dabei kann es durch eine Teilrück- oder Weiterverweisung (Art. 25 I, 4 I EGBGB), durch eine (beschränkte) Rechtswahl nach Art. 25 II EGBGB oder aufgrund der Sonderanknüpfung des Art. 3 a II EGBGB sowie auch auf staatsvertraglicher Grundlage zu einer Nachlassspaltung kommen. Rechtlich liegen dann mehrere Nachlässe vor, die kollisions- und materiellrechtlich prinzipiell unabhängig voneinander zu behandeln sind. Demgemäß liegen auch bei der Anwendung der §§ 2353, § 2369 BGB mehrere Erbschaften vor. Erbschaft im Sinne dieser Vorschriften ist dann jeder selbstständige Nachlass.
Ein Erbschein kann – folgt man gerade Gesagtem – dementsprechend im Anwendungsbereich des § 2353 BGB grundsätzlich (sofern die internationale Zuständigkeit gegeben ist und ein Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden kann) für jede einzelne Erbschaft beantragt werden. Dies gilt auch für die aufgrund der Sonderanknüpfung des Art. 3 a II EGBGB entstandene eigenständige Erbschaft, da es sich, trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts, bei Art. 3 a II EGBGB um eine stillschweigend auf das Belegenheitsrecht verweisende Kollisionsnorm handelt. Im Anwendungsbereich des § 2369 BGB kann für jede Erbschaft, zu der im Inland belegene Nachlassgegenstände gehören, ein Erbschein beantragt werden.
Der Erbscheinantrag, die Verfahrenshandlung, muss demgemäß ausgelegt werden, für welche Erbschaft(en) ein Erbschein beantragt wird. Werden für mehrere Erbschaften (Spaltnachlässe) Erbscheine beantragt, können diese in einer Urkunde zusammengefasst werden; Doppelerbschein bzw. nach neuer Rechtslage wohl besser: Mehrfacherbschein. Es muss aber deutlich werden, dass mehrere getrennte Spaltnachlässe bestehen. Umfasst der Erbscheinantrag nicht alle Spaltnachlässe, dann ist im Interesse der Rechtsklarheit ein deklaratorisch wirkender Geltungsvermerk aufzunehmen. Die Notwendigkeit des Geltungsvermerks lässt sich nach künftiger Rechtslage nicht mehr mit der begrenzten internationalen Zuständigkeit der inländischen Nachlassgerichte begründen.
Stirbt etwa ein kalifornischer Erblasser mit letztem Wohnsitz/Domizil in Deutschland, der hier, in der Schweiz sowie in Kalifornien belegenen beweglichen Nachlass (etwa Bankguthaben), sowie ein Grundstück in Frankreich hinterlässt, so entstehen zwei Spaltnachlässe. Für das in Deutschland, der Schweiz und in Kalifornien belegene bewegliche Vermögen verweist Art. 25 I, 4 III 2 EGBGB auf das Recht von Kalifornien. Das ...