Einführung
Bei Lebensversicherungen benennt der Versicherungsnehmer (Erblasser) häufig seinen Ehegatten als Bezugsberechtigten im Todesfall, um ihn auf diese Weise finanziell abzusichern. Kommt es zur Scheidung, so bleibt die Benennung als Bezugsberechtigter – aus welchen Gründen auch immer – oftmals unangetastet. Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, ob der weiterhin als Bezugsberechtigter benannte (Ex-)Ehegatte trotz Scheidung den Anspruch auf die Versicherungssumme mit Tod des Erblassers erwirbt, und ob – und unter welchen Voraussetzungen – er den erworbenen Anspruch gegenüber dem Erben dauerhaft behalten darf.
I. Problemaufriss
Bei Lebensversicherungen benennt der Versicherungsnehmer (Erblasser) häufig seinen Ehegatten für den Todesfall als Bezugsberechtigten. Angesichts langer Laufzeiten von Lebensversicherungsverträgen und hoher Scheidungsraten kommt es jedoch häufig noch vor dem Tod des Erblassers zur Scheidung. Hatte der Erblasser seinen Ehegatten – wie das nach der Auslegungsregel des § 159 Abs. 1 Alt. 2 VVG und den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Lebensversicherer der Regelfall ist – nur widerruflich als Bezugsberechtigten benannt, so kann er auf diese unerwartete familiäre Entwicklung reagieren, indem er das Bezugsrecht des Ex-Ehegatten noch zu Lebzeiten gegenüber dem Lebensversicherer widerruft. Trotz Scheidung unterlassen aber viele Erblasser in der Praxis erstaunlich häufig – sei es bewusst, sei es aus Vergesslichkeit – den Widerruf des Bezugsrechts. Nach dem Tod streiten dann der Ex-Ehegatte und der Erbe darüber, wem die Versicherungssumme zusteht. Ist der Erbe zufällig zugleich der neue Ehegatte des Erblassers (d. h. die Witwe), so findet meist eine sehr emotionsgeladene Auseinandersetzung zwischen beiden Personen statt.
Rechtsprechung und Literatur haben sich bisher häufig mit der Frage beschäftigt, ob trotz der Scheidung der als Bezugsberechtigter benannte Ehegatte bei Tod des Erblassers nach den §§ 159 Abs. 2 VVG, 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB einen gegen den Lebensversicherer gerichteten Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme erwirbt. Weniger Beachtung fand hingegen die Frage, ob der Ehegatte den nach den §§ 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB erworbenen Anspruch im (Valuta-)Verhältnis gegenüber dem Erben auch behalten darf.
II. Beispiel: "Wettstreit der Ehefrauen"
Zur Veranschaulichung diene der folgende Beispielsfall: Erblasser Erich (E) ist seit dem Jahr 1985 mit Dorothea (D) verheiratet. 1990 schließt E einen Lebensversicherungsvertrag bei der Lebensversicherungsgesellschaft L-AG (L) ab und benennt D namentlich als Begünstigte im Todesfall. Nach dem Versicherungsvertrag ist E (wie üblicherweise bei Lebensversicherungen, vgl. § 159 Abs. 1 VVG) berechtigt, die Begünstigung der D bis zu seinem Tod jederzeit frei zu widerrufen. E erzählt der D im Jahr 1990 von ihrer Benennung; D zeigt sich hierüber sehr erfreut. Im Jahr 2000 kommt es zur Scheidung von E und D. Grund hierfür ist E’s neue Freundin Fiona (F), die E im Jahr 2002 auch heiratet. Im Jahr 2008 setzt E die F in einem handschriftlichen Testament zur Alleinerbin ein, allerdings ohne die Lebensversicherung zu erwähnen. Im Jahr 2009 stirbt E, ohne das Bezugsrecht der D gegenüber L widerrufen zu haben.
Frage 1: Hat D gegen L einen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme?
Frage 2: Hat F gegen D einen Anspruch auf Abtretung dieses Anspruchs (bzw. einen Anspruch auf Herausgabe der Versicherungssumme, sofern L diese an D ausbezahlt hat)?
III. Anspruchserwerb des Dritten nach §§ 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB
Ob ein Dritter (im obigen Beispielsfall D) vom Lebensversicherer (L) Auszahlung der Versicherungssumme verlangen kann, hängt davon ab, ob der Erblasser (E) den Dritten als widerruflich Bezugsberechtigten benannt hat: Mit wirksamer Benennung erwirbt der Dritte mit dem Tod des Erblassers nach den §§ 159 Abs. 2 VVG, 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme, ohne Benennung erwirbt der Erbe (im obigen Beispielsfall F) nach § 1922 Abs. 1 BGB einen solchen Anspruch.
1. Auslegung der Begünstigungserklärung nach §§ 133, 157 BGB
Welche Person der Erblasser in der Begünstigungserklärung als Bezugsberechtigten benannt hat, ergibt sich nach den §§ 133, 157 BGB durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont des Lebensversicherers.
Benennt der Erblasser dabei seinen Ehegatten, so ist damit grundsätzlich der Ehegatte gemeint, mit dem der Erblasser bei Abgabe der Begünstigungserklärung ve...