Strategien bei unklaren letztwilligen Verfügungen
Claus-Henrik Horn, Ludwig Kroiß
C.H.BECK. 2. Auflage 2019. Buch. XXXV, 442 S. Hardcover (In Leinen), 95 EUR
ISBN: 978-3-406-73190-7
Was kann es Schöneres für einen im Erbrecht tätigen Rechtsanwalt oder Notar gegeben, als im Kreise von Kollegen, bei einer guten Tasse Kaffee oder Tee den wahren Willen des Erblassers aus dessen (handschriftlichen) Verfügung von Todes wegen zu ermitteln. Die Lesarten der (handschriftlichen) Verfügung von Todes wegen sind so vielfältig, wie es die an der Runde beteiligten Kolleginnen und Kollegen sind; jedes Wort und jedes Satzzeichen werden analysiert und interpretiert und zur Grundlage der eigenen Auslegung gemacht. Was der Erblasser allerdings tatsächlich gedacht und gewollt hat, weiß dieser letztlich wohl dann doch nur selbst.
Horn und Kroiß haben unter der Mitarbeit von Schmid nunmehr die 2. erweiterte Auflage der "Testamentsauslegung" vorgelegt. Neben einer Vielzahl von aktuellen Entscheidungen wurde das Buch um einen Teil zum Steuerrecht (bearbeitet von Schmid) ergänzt, so dass das Buch nunmehr über 6 Teile mit insgesamt 33 Gliederungspunkten verfügt.
Die Testamentsauslegung richtet sich auf den ersten Blick an die im Erbrecht tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, da es neben den umfangreichen Ausarbeitungen zur Auslegung von einseitigen Verfügungen, gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträge umfangreiche Ausführungen zum außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren enthält. Auf den zweiten Blick ist das Buch jedoch auch an den Gestalter von letztwilligen Verfügungen gerichtet. Die Darstellung von Auslegungsmöglichkeiten und die umfangreiche Einarbeitung von gerichtlichen Entscheidungen führen dem Gestalter seine große Verantwortung beim Entwurf von letztwilligen Verfügungen vor Augen. Die Autoren tragen zu den unterschiedlichen Themenkomplexen, wie etwa Erbeinsetzung, Vermächtnis, Feststellung der Wechselbezüglichkeit, Strafklauseln und vielen mehr die maßgeblichen Abgrenzungskriterien zusammen und geben dem Leser damit ein solides Handwerkszeug zur Fallbearbeitung und eben auch zur Gestaltung an die Hand. Für den Gestalter ist dies von unschätzbarem Wert, hilft doch der Blick auf die Abgrenzungskriterien und die Problemfälle der Auslegung, die Verfügung so klar und eindeutig zu formulieren, dass der Wille des Erblassers gar nicht erst durch Auslegung ermittelt werden muss. Gleichzeitig liefern die Autoren zu jedem Gliederungspunkt Formulierungsvorschläge, die auf typische Gestaltungssituationen zugeschnitten sind.
Die Autoren haben einen Aufbau gewählt, der es dem Leser leicht ermöglicht, den maßgeblichen Gliederungspunkt zu finden. Zu Beginn des Buchs arbeiten Horn und Kroiß im Sinne eines allgemeinen Teils die Grundlagen zur letztwilligen Verfügung und zu den Methoden der Auslegung von letztwilligen Verfügungen auf. Hieran schließen sich dann die Teile 3 und 4 zur Auslegung an. Innerhalb der Kapitel zur Auslegung haben die Autoren durchgängig den Aufbau "Praxisrelevanz", "Rechtslage", "Formulierungsbeispiele" und "Abgrenzungskriterien" gewählt. Dieser wird an geeigneter Stelle um ergänzende Ausführungen zur Beweislast und Einzelfragen erweitert. Dieser didaktisch kluge Aufbau hilft dem Leser, die fallrelevanten Probleme schnell aufzufinden und die notwendigen Informationen zu ermitteln. Die Vielzahl von Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen ermöglichen es, die fallrelevanten Probleme zu vertiefen.
Über das ganze Buch hinweg wird deutlich, dass es sich bei den Autoren um Experten ihres Faches handelt, die ihre eigene jahrelange Erfahrung bereitwillig und gut verständlich mit dem Leser teilen.
Die Testamentsauslegung von Horn/Kroiß ist ein Must-have für jeden im Erbrecht Tätigen. Dies gilt sowohl für den anwaltlich als auch den notariell im Erbrecht Tätigen. Der Anschaffungspreis von 95 EUR dürfte sich schon bei der nächsten Testamentsauslegung amortisieren. Vom "Mehrwert" für die o. g. kollegiale Kaffeerunde einmal ganz abgesehen.
Autor: Ulf Schönenberg-Wessel
Ulf Schönenberg-Wessel, Rechtsanwalt und Notar, Kiel
ZErb 7/2019, S. 195 - 196