a) Gemengelage von Recht und Politik
Die Rechtslage zur Zeit des "Dritten Reiches" ist außerordentlich schwer zu ermitteln. Es begegnet eine Mischung aus Gesetzen, Verordnungen, schriftlichen oder geheimen Führeranordnungen.
Das NS-Recht ist dadurch gekennzeichnet, dass die in einem bürgerlichen Rechtsstaat selbstverständlichen formellen Grundsätze der Normenhierarchie und einer entsprechenden Kompetenzordnung nicht gewährleistet sind. Einerseits wird zwar postuliert, im "Führerstaat" sei "Träger der gesetzgebenden Gewalt […] stets der Führer selbst"; alle Gesetze seien unabhängig von der Art ihres Zustandekommens "unmittelbare Auswirkungen der Führergewalt". Andererseits soll der "Übergang der gesetzgebenden Gewalt auf den Führer […] keine bloße Änderung der Zuständigkeit zum Erlass von Gesetzen" sein, sondern "zu einem völlig neuen Begriff des Gesetzes" führen: Es sei "Entfaltung der völkischen Lebensordnung gemäß dem Plane und nach dem Entscheid des Führers".
Eine Konsequenz dieser Sicht ist der Verzicht auf die Vorstellung, ein Gesetz müsse eine allgemeine Norm enthalten. Eine andere Konsequenz führt zur Aufwertung des Führerbefehls, woraus resultiert, dass die Allgemeinheit einer Regel nur noch ausnahmsweise dadurch erkennbar ist, dass sie in die Gestalt eines Gesetzes gefasst ist. Entscheidend bleibt lediglich, dass die Legitimation durch den eigentlichen Träger der Gesetzgeber, den "Führer", gewährleistet ist. Infolgedessen können andere Rechtsetzungsformen gleichwertig neben das Gesetz treten, etwa die Erlasse des Beauftragten für den Vierteljahresplan oder die Beschlüsse des Ministerrates für die Rechtsverteidigung.
Da zudem die Befehlskompetenz nicht durchgängig und eindeutig einzuordnen ist, können sich Überschneidungen und Widersprüche ergeben, die bezeichnenderweise nicht mittels eines Rückgriffs auf übergeordnete Grundsätze lösbar sind.
Dem entspricht die Bewertung der "selbstständigen Führerverordnung"; Huber schreibt, sie habe "den gleichen Rang und die gleiche Wirksamkeit wie ein Gesetz". Sie gilt in der zeitgenössischen Verfassungsrechtsliteratur als "charakteristischer Ausdruck der einheitlichen völkischen Führung und damit auch der völkischen Rechtseinheit".
Das Fehlen einer prinzipiellen Differenzierung von Rechtsnormen nach Allgemeinheit oder Kompetenz führt dazu, dass mehr oder weniger allgemeine Regeln überlagert werden von einer Flut von Maßnahmen, Befehlen, Einzelanordnungen unterschiedlichster Stringenz, welche ein von Gesetz oder Verordnung abweichendes Verhalten befehlen oder auch bloß zulassen. Dies gilt auf einem Rechtsgebiet wie dem Verwaltungsrecht, insbesondere was Vorbereitung und Durchführung des Krieges angeht. Während Schmitt und zwecks Erhaltung der Effektivität der Verwaltungsmaschinerie auch Forsthoff auf der Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung insistierten, plädierte der ihnen in der etatistischen Grundposition verbundene Huber für eine Ersetzung der Gesetzes- durch eine spezifisch nationalsozialistische Rechtsbindung; in deren Rahmen sollte, Maunz zufolge, vor allem die "Lebensordnung der Volksgemeinschaft" als Rechtsquelle zum Tragen kommen. Letztlich drehte sich dieser Streit eher um Worte, weil die Anhänger der Gesetzesbindung eine Auslegung gerade der älteren Gesetze im "NS-Sinne" verlangten und die Befürworter der Rechtsbindungslehre die unbedingte Befolgung von "Führergesetzen" einforderten, mit der Konsequenz, dass auf einmal statt des Rechtsstaatsprinzips das "Führerprinzip" die Aufrechterhaltung der Gesetzesbindung der Verwaltung garantierte. Forsthoffs "Daseinsvorsorge" nahm alsbald den Platz der "Fürsorgeverwaltung" ein.
So ergaben sich im Rechtsalltag Streitigkeiten wegen Kompetenzkonflikten, etwa zwischen fortbestehenden preußischen Institutionen wie dem Landrat einerseits sowie der Partei und dem Militär andererseits. Rechtstexte und Rechtswirklichkeit entfernten sich in Kriegszeiten zusehends voneinander. Letztlich wird zwischen Normsetzung und Verwaltungshandeln auch nicht mehr grundsätzlich, sondern nur noch graduell unterschieden. Rechtsvorschriften sind nurmehr dadurch charakterisiert, dass sie von "allgemeiner politischer Bedeutung und für die gesamte völkische Lebensordnung bestimmt sind". Verwaltungsvorschriften wirken sich lediglich als Mittel der Führung in deren Bereich aus. Befehle und Maßnahmen, wenn sie nur hoch genug angesiedelt sind, können daher jedwede Vorschrift durchbrechen oder ganz aufheben.
Dieser Zustand der NS-Verfassungs- und Rechts-“Ordnung“ erschwert jeden Versuch, das jeweils geltende Recht in systemimmanenter Weise zu eruieren. Denn stets muss man damit rechnen, dass die mühsam festgestellte grundsätzliche Regel durch einen (nach zeitgenössischer Auffassung) wirksamen Befehl im Einzelfall außer Kraft gesetzt und durch andere Rechtsfolgen ersetzt worden ist.
Es kommt ergo zu einem Vorrang der Politik, welche dem Gesetz vorgeht. Hinzu tritt die völlige inhaltliche Auslieferung allen rechtsförmigen Handelns an die Grundideen der n...