1. Gefährdungsvermutung als Rechtfertigung der’Verschonung
Rechtfertigungsgrundlage für die erbschaftsteuerliche Verschonung von Betriebsvermögen ist die Annahme einer Gefährdung des Bestands des Unternehmens und dessen Arbeitsplätze durch die Erbschaftsteuerlast beim Erwerber. Wie auch das Bundesverfassungsgericht feststellte, liegt es in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, bei einer nicht eindeutig geklärten und auch nicht ohne Weiteres aufklärbaren Sachlage seinen Entscheidungen eine Gefährdungsprognose zugrunde zu legen, sofern sich diese nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt. Vor diesem Hintergrund ist es auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ausreichend, dass der Gesetzgeber eine ernsthafte Gefahr von Liquiditätsproblemen bei der Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen vertretbar und plausibel diagnostiziert hat. Die Gefährdungsvermutung genügt somit grundsätzlich als Rechtfertigungsgrundlage für die Ungleichbehandlungen durch die Steuerverschonungen, ohne dass im Einzelfall ein konkreter Nachweis der Bedürftigkeit erforderlich ist.
2. Anforderungen an den Nachweis der Gefährdung bei’Großerwerben
Es liegt jedoch auf der Hand, dass das Maß der Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern begünstigten und Erwerbern nicht begünstigten Vermögens umso größer ist, je umfangreicher der steuerbefreite Erwerb ist. Je größer das Maß der Ungleichbehandlung ist, desto anspruchsvoller wird auch die Rechtfertigungslast hierfür. Das Bundesverfassungsgericht hält deshalb die uneingeschränkte Geltung der unwiderleglichen Gefährdungsvermutung ohne Einzelnachweis der Gefährdung auch für Erwerbe von Unternehmen, welche die Größe kleiner und mittlerer Unternehmen überschreiten, für verfassungswidrig. Bereits aufgrund der Größe der steuerbefreiten Beträge erreiche die Ungleichbehandlung in diesen Fällen ein Maß, bei dem ohne eine konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens eine gleichheitsgerechte Besteuerung nicht mehr angenommen werden könne.
Wenn die Verschonungsregelungen dem Erhalt von Unternehmen und den betroffenen Arbeitsplätzen dienen, ließe sich jedoch argumentieren, dass auch und gerade Großunternehmen beziehungsweise die Erwerber von Großunternehmen begünstigt werden müssten, da in diesen Fällen eine hohe Anzahl von Arbeitsplätzen gefährdet sei. Diesem Gedanken stellt sich das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht entgegen. Es hält Großunternehmen nicht für weniger schutzwürdig, sondern allenfalls für weniger schutzbedürftig im Hinblick auf die Gefährdungsvermutung. Denn insofern fordert es aufgrund des Ausmaßes der Ungleichbehandlung gegenüber nicht begünstigten Erwerben erhöhte Anforderungen an den Nachweis der Gefährdungsprognose. Durch die Differenzierung wird die Begünstigung den Großunternehmen gegenüber nicht verwehrt, es werden lediglich erhöhte Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit gesetzt.
3. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für den Abgrenzungsmaßstab
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil hinsichtlich Verfassungswidrigkeit der Verschonungsregelungen in ihrer alten Fassung dem Gesetzgeber konkrete Anregungen für eine verfassungskonforme Neuregelung gegeben.
Im Hinblick auf die Regelung von Großerwerben gab das Bundesverfassungsgericht vor, der Gesetzgeber müsse unter Berücksichtigung der mit der Verschonung verfolgten Gemeinwohlziele präzise und handhabbare Kriterien für die Abgrenzung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und Großunternehmen andererseits festlegen. Dabei wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass sich der Gesetzgeber auch an der Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003 orientieren könne. Hiernach zählen zu den kleinen und mittleren Unternehmen solche, die weniger als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. EUR beläuft. Statt einer exakten Bestimmung des jeweiligen Unternehmenskreises könne der Gesetzgeber hingegen auch eine absolute Förderhöchstgrenze einführen. Insofern verweist das Bundesverfassungsgericht auf einen alten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge, in dem eine Förderungshöchstgrenze von 100 Mio. EUR beabsichtigt war, jenseits derer die Steuerverschonung endete.
Irritierenderweise stellt das Bundesverfassungsgericht somit im Rahmen seiner Anregungen hinsichtlich der Grenze teilweise auf das Unternehmen und teilweise auf den Erwerb ab.