Bestehende Stiftungen sollten ihre Regelungen zur Satzungsänderung vor dem 1.7.2023 überprüfen und ggf. anpassen. Das gilt vor allem dann, wenn die Satzung Regelungen zur Satzungsänderung enthält, die enger als das neue Recht sind. Ist dies der Fall, sollte die Stiftung auch prüfen, ob der Stifter dies bewusst so geregelt hat oder dies nur der gesetzlichen Lage im Zeitpunkt der Errichtung entsprach, der Stifter aber tatsächlich eine Beschränkung in diesem Umfang nicht wollte.
Enthält die Satzung keine eigenständigen Regelungen zur Satzungsänderung, erscheint eine Anpassung an die neuen Regelungen der Stiftungsrechtsreform nicht zwingend erforderlich. Denn ab dem 1.7.2023 gelten automatisch die neuen Regelungen zur Satzungsänderung. Die Stiftung sollte sich aber fragen, ob dies dem (mutmaßlichen) Willen des Stifters entspricht oder ob dieser, wenn er die neuen gesetzlichen Regelungen gekannt hätte, eine Begrenzung der Satzungsänderungsrechte gewünscht hätte, und ggf. eine Satzungsänderung erwägen.
§ 85 Abs. 4 BGB n.F. stellt der Praxis viele offene Fragen. So besteht vereinzelt die Sorge, dass bestehende Stiftungen ihre Satzung nur bis zum 30.6.2023 weitreichend ändern und an die neuen Stiftungsregeln anpassen können, wenn die gesetzlichen oder satzungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Satzungsänderung ansonsten nicht erfüllt wären. Mit Inkrafttreten der Stiftungsrechtsreform am 1.7.2023 gelten die neuen Stiftungsregeln, sodass es für viele Satzungsänderungen darauf ankommen dürfte, ob die Stiftung diese neuen Änderungsmöglichkeiten in ihrer Satzung vorgesehen hat oder ihre Satzung zumindest die neuen Änderungsmöglichkeiten nicht ausschließt. Wenn eine Stiftung die Satzung dennoch nicht ändert, könnte der Vorwurf erhoben werden, dass sie dann auch damit "leben" muss, ihre Satzung nicht modernisiert zu haben. Ob es so kommen wird, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Denn es ließe sich zumindest für einige Regelungen argumentieren, dass auch ab dem 1.7.2023 die Stiftungsrechtsreform als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse betrachtet werden muss. Eine vorsorgliche Satzungsanpassung vermeidet solche Unwägbarkeiten.
Von großer Bedeutung für bestehende Stiftungen ist § 85 Abs. 4 BGB n.F. vor allem deshalb, da fraglich ist, ob noch im "Nachhinein" ein Stifterwille festgeschrieben werden darf, der auf eine Abweichung der (neuen) gesetzlichen Regelungen zielt. Das kann z.B. sein, wenn der Stifter einer im Jahr 2004 gegründeten Stiftung nun andere Voraussetzungen für eine Satzungsänderung niederlegen möchte als es in § 85 Abs. 1-Abs. 3 BGB n.F. vorgesehen ist. Als Argument für eine mögliche Versagung einer solchen Anpassung wird das historische Stiftungsgeschäft genannt, in dem der Stifter diese Änderungsmöglichkeiten nicht geregelt hatte, unabhängig davon, dass er wie im obigen Beispiel im Jahr 2004 die Stiftungsrechtsreform 2021 nicht kennen konnte. Im Schrifttum wird vertreten, dass es eine Schlechterstellung und unsachgemäß wäre, wenn bestehende Stiftungen diese Möglichkeit – anders als derzeit zu gründende Stiftungen – nicht erhielten. Die Schwierigkeit ist, dass die Stiftungsrechtsreform einerseits eine umfassende Modernisierung des Stiftungsrechts anstrebt, von der auch bereits bestehende Stiftungen profitieren sollen, andererseits bestehende Stiftungen mit ihren "Altsatzungen" im Prinzipiengeflecht des Rückgriffs auf historische Stiftererwägungen und der Trennung der Stiftung vom Stifter feststecken.
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten: Meint der Gesetzgeber es ernst, bestehenden Stiftungen eine umfassende Anpassung ihrer Satzung an das neue Recht zu ermöglichen, sollten auch ihnen abweichende Satzungsänderungen i.S.d. § 85 Abs. 4 BGB n.F. möglich sein. Hierbei ist selbstverständlich der Stifterwille zu berücksichtigen. Sind Stifter bereits verstorben, muss der Stiftungsvorstand den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Stifterwillen anderweitig feststellen. Leben Stifter noch, sollten sie zur angemessenen Anpassung der von ihnen gegründeten Stiftung hinzugezogen werden, damit die Anpassung im Sinne des Gesetzgebers erfolgen kann. So wird vorgeschlagen, für den Rückgriff auf den (mutmaßlichen) Stifterwillen auf die Satzung in der Fassung abzustellen, wie sie sich zum 30.6.2023 unmittelbar unter Berücksichtigung aller bis dahin wirksam umgesetzten Satzungsänderungen ergibt.
Da das neue Stiftungszivilrecht ab 1.7.2023 unterschiedslos auch auf alle Stiftungen Anwendung finden wird, die vorher errichtet wurden, kann es Kollisionen mit den alten Satzungsregeln geben, wenn eine Stiftung ihre Satzung nicht modernisiert hat. Vereinzelt wird auch von einer Überschreibung der alten Satzungsregelungen durch die neuen Stiftungsvorschriften gesprochen. Im Fall solcher Kollisionen, insbesondere, wenn das neue Recht die Regeln zur Satzungsänderung im Stiftungsgeschäft fordert, die alte Satzungsregelung aber nicht bereits im Stiftungsgeschäft enthalten war, sondern erst vor dem 1.7.2...