Auf einen Blick

Der Zivilprozess soll moderner und digitaler werden. Das ist zu begrüßen. Neue Formate bringen indes auch neue Herausforderungen, die – gerade in der "Zwischenphase", in der wir uns derzeit befinden – ernst genommen werden müssen, auch wenn sie einer Fortentwicklung des Zivilprozesses nicht grundsätzlich entgegenstehen sollten.[106] Die neue Technik darf nicht Selbstzweck sein, sondern muss in der Sache Vorteile bringen und von allen Beteiligten akzeptiert werden, um praktisch zu funktionieren.

Soweit wir es beurteilen können, haben Videoverhandlungen gerade in familiären und erbrechtlichen Streitigkeiten noch Schwächen. Der vorstehende Satz enthält zwei Einschränkungen, die uns bedeutsam erscheinen. Zum einen werden wir uns weiter an die Technik gewöhnen und wird diese sich weiterentwickeln. Zum anderen wollen wir uns mit Blick auf die Reform allein mit eigenen Erfahrungen und Einschätzungen nicht zufriedengeben. Die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung gerade der psychologischen Fragen, des subjektiven Empfindens und damit der Akzeptanz in der Bevölkerung erscheint uns dringend geboten. Auch mit Blick auf die Technik reicht es im Übrigen nicht, dass sich der Gesetzgeber einen modernen und digitalen Zivilprozess "in Gesetzesform herbeiwünscht". Gesetzgeber und Verwaltung müssen nicht nur die rechtlichen, sondern auch die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Nutzung der Technik schaffen, wenn sie sich als ernsthafte und flächendeckende Alternative zur Verhandlung in Präsenz etablieren soll. Der im Referentenentwurf angenommene Kostenmehraufwand legt nahe, dass das noch nicht hinreichend berücksichtigt wurde.

Autor: Dr. Cornel Potthast, LL.M., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Bonn, und Dr. Florian Braunschmidt, Richter am Amtsgericht Köln

ZErb 7/2023, S. 247 - 255

[106] Zumal sich der technische Fortschritt weiterentwickelt und die "Nutzer" des Systems Justiz zukünftig jüngere Generationen sein werden, für die Kommunikation im digitalen Raum Teil ihrer Normalität sein wird.

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