Der Entwurf enthält einige Verbesserungen. Insbesondere wäre der Entfall der zwingenden Anwesenheit im Gerichtssaal ein Schritt hin zu mehr Flexibilität und einer effizienteren Nutzung der in manchen Gerichten knappen Ressource "Sitzungssaal".[90] Andererseits kann eine Anordnung der Videoverhandlung gerade bei den Amtsgerichten zu einer Einschränkung des rechtlichen Gehörs führen. Denn nicht jeder Bürger verfügt über die technischen Geräte und die technische Fähigkeit, an einer Videoverhandlung teilzunehmen. Die nachvollziehbare Erwartung der Anwaltschaft, dass die Gerichte im Jahr 2023 technisch ausreichend ausgestattet sind, entspricht leider nicht der Realität.

Abgesehen von der Hardware ist die Software ein nicht zu unterschätzendes Problem. In NRW beispielsweise hat eine Zentralisierung der justizeigenen EDV stattgefunden. Die dafür eigens eingerichteten Server ächzen allerdings schon heute unter dem Datenstrom und sind regelmäßig zu langsam, um Videoverhandlungen ohne Verzögerungen durchzuführen. Das Gericht muss daher eine neue Browser-Session außerhalb der virtuellen Landesumgebung aufbauen – das stellt die allermeisten verständlicherweise vor Umsetzungsprobleme.[91] Anwalt- und Richterschaft sollten hier an einem Strang ziehen, um die Gerichtsverwaltung über den bloßen Erwerb von Hardware auch dazu zu bewegen, eine einfach zu bedienende (idealerweise bundeseinheitliche[92]) Software anzubieten, auf Servern, die sicher, schnell und zuverlässig arbeiten.[93] Hinzu kommt, dass zum Teil Videokameras angeschafft wurden, welche zwar einen guten Überblick über den Saal ermöglichen, jedoch die Mimik und Gestik der einzelnen Akteure kaum erfassen. Dadurch verliert die Kommunikation jede Lebendigkeit. Entgegensteuern kann der Einzelne mit individuell beschafften Kameras, die eine Nahaufnahme ermöglichen. Erneut ist deren Einsatz nicht ganz trivial, weil das System auf die Saal-Kameras voreingestellt ist. Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass Probleme in der praktischen Umsetzung nicht zu unterschätzen sind.

[91] Vgl. auch Stellungnahme des Amtsrichterverbands zum Entwurf, dort S. 3.
[92] So auch Duhe/Weißenberger, RDi 2022, 176, 181; Francken/Natter, NZA 2021, 153, 157.
[93] Scholz, DRiZ 2023, 64, 65, sieht hier ebenfalls das größte Problem für die umfassende Nutzung.

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