(1) Negative Auswirkungen auf den Verfahrensablauf
Es wird nicht gelingen, die neue Technik durch eine Beschwerdemöglichkeit durchzusetzen. Vielmehr würde eine solche Tür und Tor öffnen, um Verfahren zu verschleppen. Die Kombination aus einem sehr spät zurückgeschickten eEB mit einer zeitlich geschickt platzierten sofortigen Beschwerde bringt jeden anberaumten Termin zum Entfall.
(2) Verfassungsrechtliche Vorgaben – individuelle "Best Practice"
Eine sofortige Beschwerde würde zudem auf abzulehnende Weise in die Verfahrensführung des Gerichts eingreifen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es geboten, dass das Gericht eine am Einzelfall orientierte Betrachtungsweise vornehmen kann, um seine Rolle bei der Prozessführung – insbesondere den Hinweispflichten – gerecht zu werden. Das BVerfG hat bereits 1976 ausgeführt, dass die Zivilgerichte im Rahmen der individuellen tatsächlichen Situation die geeigneten Maßnahmen für ein faires Verfahren treffen müssen. Dafür hält das Prozessrecht
Zitat
"dem Richter im Interesse einer dem jeweiligen Verfahrensgegenstand angemessenen Prozedur in weiten Bereichen Ermessens- und Beurteilungsspielräume zur Leitung, Förderung und Ausgestaltung des Verfahrensganges offen."
Ohne "Ansehen der Person" ist eine Ausfüllung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht möglich. Die verbindliche Videoverhandlung nimmt dem Gericht ein wichtiges Instrumentarium, um sich einen umfassenden persönlichen Eindruck zu verschaffen. Eine strukturelle Unterlegenheit einer Partei wird regelmäßig verhindern, dass bei ihr die Erkenntnis dieses Problems sowie die Rechtskenntnisse vorhanden sind, um eine mündliche Verhandlung in Präsens zu beantragen. Das vordringliche Ziel des Zivilprozesses – die Durchsetzung des materiellen Rechts – könnte leiden, in Einzelfällen ganz vereitelt werden.
Die Erfahrungen und individuellen Fähigkeiten des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers blieben im Übrigen außen vor, wenn das Beschwerdegericht nach seiner Einschätzung entscheiden soll, wie das Verfahren am sinnvollsten zu führen ist. Nach meiner Erfahrung ist eine Güteverhandlung mit persönlicher Teilnahme häufig besser geeignet, um’zwischenmenschliche Dispute zu klären. Erfahrungsgemäß wird abseits des Protokolls "Small-Talk" betrieben, die Parteien kommen ins Gespräch, was die Atmosphäre (entscheidend) auflockern kann. Im Rahmen von Vergleichsverhandlungen besprechen sich die Parteien häufig mit ihren Prozessbevollmächtigten vor dem Saal von Angesicht zu Angesicht. Nicht selten machen das beide Seiten, finden dabei spontan auf dem Flur wieder "zueinander" und kommen mit einem neuen Vorschlag, der vorher gar nicht diskutiert wurde, in den Saal zurück. Die Videoverhandlung ist bei emotionalen Konflikten nach meinem Eindruck (noch) zu blass, zu formal und schränkt die Möglichkeiten des Gerichts, mit den Parteien ins Gespräch zu kommen, stark ein. Der aktuell technisch offenbar unvermeidliche minimale Zeitversatz zwischen Bild und Ton lässt eine lebhafte Diskussion nicht zu, da’sich die Beteiligten laufend unwillkürlich ins Wort fallen.
(3) IT-Unterstützung effektiver als Zwangsmaßnahmen
Aufgrund der beschriebene...