Einen ersten Anknüpfungspunkt für die wertmäßige Untergrenze könnte das Pflichtteilsrecht des Ausgleichungspflichtigen bieten. Es dient – wie oben dargestellt – Rechtsprechung und Literatur teils ausdrücklich als Argument gegen eine ausgleichungsbedingte Nachlassaufzehrung. Zur Überprüfung dieser These lohnt es sich, zunächst einen kurzen Blick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Pflichtteilsrechts zu werfen und anschließend exemplarisch die Rechtsprechungspraxis des BGH zum Pflichtteilsrecht zu betrachten.
a. Verfassungsrechtlicher Schutz des Pflichtteilsrechts
Grundlage des verfassungsrechtlich geschützten Pflichtteilsrechts bildet die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, aus dem das BVerfG eine Institutsgarantie des Erbrechts ableitet. Die Vorschrift garantiert nach Auffassung des Gerichts zum einen das Vererben durch den Erblasser, das heißt vor allem die Testierfreiheit. Zum anderen schützt Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG das Recht, erben zu können. Das BVerfG sieht über diese duale Schutzdimension hinaus "die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass […] als tragendes Strukturprinzip des geltenden Pflichtteilsrechts durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt".
Zum Schutz des Pflichtteilsrechts wird Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nach Dafürhalten des BVerfG durch den grundrechtlichen Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG flankiert. Denn die Norm enthalte "eine wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte die Familie betreffende private Recht". Die familiäre Verantwortlichkeit füreinander genieße Verfassungsrang. Der Gesetzgeber habe sich von diesem Bild etwa bei der Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehung in § 1618a BGB leiten lassen. Die Nachlassteilhabe bestehe "in grundsätzlich unauflösbarer Weise zwischen dem Erblasser und seinen Kindern". Das Pflichtteilsrecht knüpfe an die familienrechtlichen Beziehungen zwischen dem Erblasser und seinen Kindern an und stehe damit in Zusammenhang mit einer rechtlich vorausgesetzten familiären Solidarität. Die Verpflichtung zur gegenseitigen umfassenden Sorge rechtfertige es, dem Kind mit dem Pflichtteilsrecht eine wirtschaftliche Grundlage aus dem Vermögen des Erblassers zu sichern und beschränke die Möglichkeit des Erblassers mithilfe einer Verfügung von Todes wegen Familienmitglieder zu "bestrafen".
Trotz der Institutsgarantie des Pflichtteilsrechts soll eine Beschränkung des Pflichtteils durch die Normen des BGB möglich sein. Anknüpfungspunkt sei Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, der dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative bei der Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts einräume. Vor diesem Hintergrund sei die in § 2301 Abs. 1 S. 2 BGB geregelte Pflichtteilsrechtsquote verfassungsrechtlich nicht strikt vorgegeben. Gewährleistet werden müsse lediglich eine unentziehbare angemessene Teilhabe der Kinder am Nachlass des Erblassers.
b. Stellenwert des Pflichtteilsrechts in der Rechtsprechung des BGH
Obwohl grundsätzlich mit der Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher Normen befasst, nimmt auch der BGH gelegentlich zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Pflichtteilsrechts Stellung. Als Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit kann dabei das Urteil des BGH zur Unwirksamkeit der Rechtswahl einer ausländischen Rechtsordnung ohne Pflichtteilsrecht dienen: Aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern verstoße eine Rechtswahl dann gegen den deutschen ordre public aus Art. 35 EuErbVO, wenn diese dazu führe, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichendem Inlandsbezug kein mit dem deutschen Recht vergleichbarer und bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes bestehe. Bemerkenswerte Parallelen zu der vorliegend untersuchten Konkurrenz des wegen Pflegeleistungen ausgleichungsberechtigten Abkömmlings und dem pflichtteilsberechtigten Ausgleichungsverpflichteten weisen im Übrigen die Fälle auf, in denen der BGH – wenn auch ohne explizit verfassungsrechtlichen Bezug – einem Pflichtteilsberechtigten den an sich gegebenen Pflichtteilsergänzungsanspruch aufgrund einer pflegebedingten Pflichtschenkung versagt:
Gem. § 2325 Abs. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte vom Erben die Ergänzung seines Pflichtteils dergestalt verlangen, dass lebzeitige Schenkungen durch den Erblasser dem vorhandenen Nachlass hinzugerechnet werden und aus dem nunmehr erhöhten N...