Obwohl grundsätzlich mit der Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher Normen befasst, nimmt auch der BGH gelegentlich zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Pflichtteilsrechts Stellung. Als Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit kann dabei das Urteil des BGH zur Unwirksamkeit der Rechtswahl einer ausländischen Rechtsordnung ohne Pflichtteilsrecht dienen: Aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern verstoße eine Rechtswahl dann gegen den deutschen ordre public aus Art. 35 EuErbVO, wenn diese dazu führe, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichendem Inlandsbezug kein mit dem deutschen Recht vergleichbarer und bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes bestehe. Bemerkenswerte Parallelen zu der vorliegend untersuchten Konkurrenz des wegen Pflegeleistungen ausgleichungsberechtigten Abkömmlings und dem pflichtteilsberechtigten Ausgleichungsverpflichteten weisen im Übrigen die Fälle auf, in denen der BGH – wenn auch ohne explizit verfassungsrechtlichen Bezug – einem Pflichtteilsberechtigten den an sich gegebenen Pflichtteilsergänzungsanspruch aufgrund einer pflegebedingten Pflichtschenkung versagt:
Gem. § 2325 Abs. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte vom Erben die Ergänzung seines Pflichtteils dergestalt verlangen, dass lebzeitige Schenkungen durch den Erblasser dem vorhandenen Nachlass hinzugerechnet werden und aus dem nunmehr erhöhten Nachlasswert der Pflichtteil errechnet wird. Hierdurch soll eine Aushöhlung des Nachlasses durch den Erblasser zulasten der Pflichtteilsberechtigten verhindert werden. Eingeschränkt wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch u.a. durch die Vorschrift des § 2330 BGB, nach der § 2325 BGB keine Anwendung auf solche lebzeitigen Schenkungen des Erblassers findet, durch die der Schenker einer sittlichen Pflicht gegenüber dem Beschenkten nachgekommen ist. Eine solche Pflicht nimmt der BGH an, wenn die Schenkung sittlich geboten war, sodass umgekehrt eine unterlassene Schenkung dem Erblasser als Verletzung der für ihn bestehenden Pflicht zur Last zu legen wäre. Hierfür sind laut BGH nicht nur die Interessen des Beschenkten, sondern auch die Interessen der Pflichtteilsberechtigten an der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbeteiligung am Nachlass zu berücksichtigen.
Speziell bei gegenüber dem Erblasser erbrachten Pflegeleistungen des Beschenkten solle eine Schenkung nur dann sittlich geboten sein, wenn der Pflegende schwerwiegende persönliche Opfer erbracht habe und aufgrund dessen selbst in eine Notlage gelangt sei. So wie bei der Ausgleichungsbemessung des § 2057a Abs. 3 BGB spielen hierbei Quantität und Qualität der durch den Beschenkten erbrachten Leistungen sowie deren Wert im Verhältnis zum Restnachlass unter Berücksichtigung der Interessen des Pflichtteilsberechtigten eine Rolle. Sind die hohen Hürden der Pflichtschenkung erst einmal überwunden, soll es laut BGH im Einzelfall durchaus möglich sein, auch solche Schenkungen noch als Pflichtschenkungen zu qualifizieren, die den Nachlasswert im Wesentlichen erschöpfen. In solchen Fällen ist eine Mindestbeteiligung des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass des Erblassers mithin nicht mehr gewährleistet.