Prof. Dr. Dr. Thomas Gergen
Einführung
In den 1950er-Jahren wurden weite Teile des Zivilrechts, in denen bisher ein für beide Geschlechter ungleiches Recht geherrscht hatte, über Artikel 3 Abs. 2 GG dem Grundsatz der Gleichberechtigung angepasst. Damals wurde allerdings das bäuerliche Erbrecht bewusst ausgespart, weswegen der daraufhin folgenden juristischen Auseinandersetzung vor BGH und Bundesverfassungsgericht grundsätzliche Bedeutung für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Zivilrecht zukommt. Erkenntniserweiternd sind die in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen und Begründungsansätze zur Ungleichbehandlung der Geschlechter im landwirtschaftlichen Erbrecht, insbesondere die Diskussionen um die Behandlung dieser Fragen durch BGH und Bundesverfassungsgericht in den Jahren 1947–1965. Wodurch wurde ein Weiterbestehen der Ungleichbehandlung speziell im Landwirtschaftsrecht gerechtfertigt, obwohl im allgemeinen bürgerlichen Recht eine Gleichbehandlung der Geschlechter eingeführt werden sollte? Immer wieder treten funktionale (arbeitsteilige) und biologische Unterschiede sowie die natürliche Lebensordnung der Geschlechter als Argumente für zulässige Ungleichbehandlungen in Erscheinung. Ebenfalls ist zu fragen, ob es außerhalb des Landwirtschaftsrechts ähnliche Argumentationen mit Bezug auf die natürliche Lebensordnung der Geschlechter gab.
I. Die Nachfolgeregelungen im Landwirtschaftserbrecht
Mit Ablauf des 31. März 1953 sollte gemäß Art. 117 Abs. 1 GG das dem Gleichheitssatz widersprechende Recht außer Kraft treten. Damit waren alle Verfassungsorgane inklusive der Rechtsprechung in der Pflicht, sich in ihrer rechtlichen Beurteilung und Entscheidungsfindung von geschlechterspezifischen Vorstellungen zu lösen und gerade nicht den Unterschied der Geschlechter zu einer Differenzierung heranzuziehen. Für das bäuerliche Erbrecht stand dabei der Vorrang des männlichen Geschlechts bei der Erbrechtsfolge an einem Bauernhof mit Art. 3 Abs. 2 GG im Widerstreit. Das auch heute noch in weiten Teilen Deutschlands bestehende Sondererbrecht verfolgt das Ziel der geschlossenen Vererbung der Höfe auf einen Erben (Anerben) und greift somit in die gesetzliche Erbfolge ein. Im Zuge der Intestaterbfolge erhält einer der Erben den Hof, während die weichenden Erben auf geringwertige Abfindungsansprüche verwiesen werden. Dabei bestimmt sich in der Regel der ausgewählte Anerbe nach dem Grad der Verwandtschaft mit dem Erblasser und nach seinem Alter. Wenn unter gleichnahen Erben der männliche Miterbe dem weiblichen als Hoferbe vorgezogen wird, verlangt dies eine entsprechend fundierte Begründung.
1. Anerbengesetze
Von 1855 bis 1930 wurden in Deutschland über 20 Anerbengesetze in Kraft gesetzt. In Art. 64 EGBGB wurde die Materie dem Landesgesetzgeber mit der einzigen Vorgabe überlassen, dass er das Recht des Erblassers, über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen, nicht beschränken kann. In der Diskussion über die Frage, ob die geltenden Anerbengesetze und insbesondere der Vorzug des männlichen Geschlechts bei der Erbfolge mit Art. 3 GG vereinbar sind, wurde immer wieder auf die geschichtliche Entwicklung und die Anerbengesetze hingewiesen.
Zu unterscheiden sind unmittelbares und mittelbares Anerbenrecht. Nach dem unmittelbaren Anerbenrecht sind gewisse, nach objektiven Kriterien bestimmte Höfe kraft Gesetzes diesem unmittelbar unterstellt. Nach mittelbarem Anerbenrecht ist dies abhängig von einem Antrag des Hofeigentümers auf Eintragung in ein öffentliches Register. Alle Anerbengesetze legten Abfindungsansprüche für die weichenden Erben fest, die sich nicht nach dem Verkehrswert des Hofs, sondern unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage nach dessen Ertragswert bestimmten. Die meisten Gesetze legten außerdem das Ältestenrecht fest, d. h., unter mehreren Miterben gleichen Ranges war der Älteste zum Anerben ausersehen. Lediglich in Baden, Oldenburg und Westfalen galt teilweise das Jüngstenrecht. In vorwiegend allen Anerbengesetzen waren die Söhne des Erblassers vor den Töchtern zu Anerben berufen; erst wenn keine Söhne vorhanden waren, fiel der Hof an eine Tochter. In Württemberg bestand in erster Linie ein Vorrang der Landwirte unter den Erben, d. h. zugunsten desjenigen, ob weiblich oder männlich, der in der Landwirtschaft ausgebildet und in ihr hauptberuflich tätig war. In Bremen war zudem geregelt, dass Töchter den Söhnen vorgehen, wenn diese nicht Landwirt waren und jene mit einem Landwirt verheiratet waren. In Kassel hatte ein Familienrat de...