Einführung
Nehmen wir an, es wird ein aufschiebend bedingter Anspruch geschenkt, der auf 100.000 EUR lautet, dessen Verkehrswert bei der Schenkung aber nur 1 EUR beträgt, weil der Eintritt der Bedingung höchst unwahrscheinlich ist, und nehmen wir weiter an, dass anschließend die Bedingung doch eintritt. Dann wird die Schenkungsteuer nicht nach dem Wert des Anspruchs im Zeitpunkt der Schenkung erhoben, sondern nach dem Nennwert bei Bedingungseintritt. Dieser Besteuerung kann dadurch begegnet werden, dass der bedingte Anspruch zum Verkehrswert verkauft wird. Dann gibt es keine freigebige Zuwendung. Und wenn anschließend die Bedingung eintritt, fällt auch keine Einkommensteuer an.
1. Aufschiebend bedingter Anspruch und Schenkungsteuerrecht
Die unentgeltliche Zuwendung eines aufschiebend bedingten Anspruchs löst noch keine Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG aus. Die Steuer entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, wenn die Schenkung ausgeführt ist. Das ist nach der Rechtsprechung des BFH erst dann der Fall, wenn die Bedingung eingetreten ist. Gegenstand der Schenkung kann also niemals der bedingte Anspruch sein, mögen das die Beteiligten auch noch so sehr wollen und vereinbaren, auch nicht ein auf dem bedingten Erwerb beruhendes Anwartschaftsrecht. Geschenkt ist immer nur der entstandene Anspruch, das sogenannte Vollrecht. Die Schenkungsteuer wird demzufolge nicht auf den Wert des bedingten Anspruchs erhoben, letztendlich also auf den Wert der darin verkörperten Gewinnchance, sondern auf den Wert des Vollrechts.
Als Arbeitserleichterung hat das einiges für sich. Denn die Bewertung eines entstandenen Anspruchs ist einfacher als die Bewertung einer Gewinnchance. Hinterher ist man bekanntlich immer klüger. Das hat auch der Gesetzgeber so gesehen und den Wert der Gewinnchance daher typisierend auf null geschätzt, indem er die Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts mit null angenommen hat.
Mehr spricht allerdings dagegen: Wenn die Schenkungsteuer, wie das BVerfG sagt, den Vermögenszuwachs und die daraus resultierende Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfasst, dann muss der aktuelle Zuwachs an Leistungsfähigkeit die Grundlage der Besteuerung bilden. Das ist die Bereicherung, die die Schenkungsteuer erfasst. Sie erfolgt bereits mit der Zuwendung der Gewinnchance und nicht erst dann, wenn sich die Chance realisiert hat. Insofern stellt sich schon die Frage, ob nicht eine allzu grobe Typisierung und deswegen eine Übermaßbesteuerung vorliegt, wenn der Schenkungsteuer nicht der aktuelle, sondern der künftige gemeine Wert der Zuwendung zugrunde gelegt wird. Andererseits hat die aktuelle Praxis den Vorteil, dass der Beschenkte kein Risiko trägt, eine Gewinnchance versteuern zu müssen, die sich danach nicht realisiert. Aber sachgerecht ist das nicht. Wer eine Gewinnchance erwirbt, geht immer das Risiko ein, dass sein Einsatz ersatzlos verloren geht, der hier in der Schenkungsteuer bestünde. Das liegt nun einmal in der Natur der Sache. Wer dieses Risiko scheut, darf das Geschäft eben nicht machen.
2. Aufschiebend bedingter Anspruch und Einkommensteuerrecht
Eine Parallele hat diese Sichtweise im Einkommensteuerrecht. Wendet der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ein Ankaufsrecht oder eine Option auf Aktien zu, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH eine Sachzuwendung erst bei der Ausübung des Ankaufsrechts oder der Option vor, sodass es auf den Verkehrswert der Aktien abzüglich einer Gegenleistung des Arbeitnehmers für den Erwerb des Ankaufsrechts oder der Option ankommt. Der Preis für die Nichtbesteuerung der erworbenen Gewinnchance, was wegen des Verlustrisikos günstig erscheint, wird also als Einkommensteuer auf den erzielten Gewinn bezahlt. Und verallgemeinernd hat der BFH ausgesprochen, die Einräumung einer Gewinnchance bewirke noch keinen Zufluss, sondern erst ihre Realisierung.
3. Ein Fall aus der Praxis
Die schenkungsteuerrechtliche Thematik war kürzlich Gegenstand ei...