a) Allgemeines
Schwieriger wird es mit der Auslegung, wenn der Berechtigte nicht ausdrücklich einen Pflichtteilsanspruch verlangt oder geltend macht, aber bspw. die Erbenposition des überlebenden Ehepartners angreift. Dies kann in der Form geschehen, dass er die Verfügungen für den ersten Erbfall anficht, eine Formungültigkeit des Testaments oder gar die Testierunfähigkeit des Erblassers behauptet.
In diesen Fällen verfolgt der Pflichtteilsberechtigte in der Regel eine Rechtsposition, die sich für ihn – zumindest wirtschaftlich – günstiger darstellt, als der reine Pflichtteilsanspruch. Gleichzeitig wird das Ziel der gemeinsam testierenden Ehegatten, dem überlebenden Ehegatten das gemeinsame Vermögen bis zu dessen Tod möglichst ungeschmälert zukommen zu lassen, in noch höherem Maße beeinträchtigt als bei der Forderung des Pflichtteils. Bei der Pflichtteilsforderung handelt es sich ausschließlich um eine Geldforderung am Nachlass in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils – aus der Miterbenstellung des Abkömmlings ergeben sich neben der höheren quotalen Beteiligung am Nachlass weitere erhebliche Einschränkungen, insbesondere im Hinblick auf die Verwaltung des Nachlasses.
b) Entscheidung des OLG München vom 6.12.2018 und 7.4.2011
In einem aktuellen Beschluss vom 6.12.2018 hat das OLG München dennoch den Antrag auf Einziehung eines Alleinerbscheins durch einen Abkömmling nicht als "Pflichtteilsverlangen" mit der Folge der Enterbung des Abkömmlings für den zweiten Erbfall angesehen. Zuvor war es in seiner Entscheidung vom 7.4.2011 davon ausgegangen, dass das Fordern des gesetzlichen Erbteils einem Pflichtteilsverlangen gleichzustellen ist.
Grundsätzlich lagen beiden Entscheidungen ähnliche Sachverhalte zugrunde: Die jeweiligen Ehepartner setzten sich gegenseitig für den ersten Erbfall zu Alleinerben ein. Des Weiteren enthielten die streitigen letztwilligen Verfügungen eine Pflichtteils(straf)klausel, wobei beide Klauseln von einer "Forderung" bzw. einem "Verlangen" des Pflichtteils als zu sanktionierendem Verhalten des Abkömmlings ausgehen. Der überlebende Ehegatte beantragte jeweils in beiden Fällen auf Ableben des erstverstorbenen Ehepartners einen Erbschein, der ihn als Alleinerbe auswies. Einer der Abkömmlinge der Ehepartner trat jeweils (im Ergebnis erfolglos) der Erteilung des beantragten Erbscheins entgegen bzw. beantragte dessen Einziehung. Dies wurde jeweils unter anderem mit der Erhebung von Einwänden gegen die Wirksamkeit des Testamentes begründet (z. B. dass der erstversterbende Ehegatte kein formgültiges Testament hätte errichten können und ein fehlender Testierwille). Entscheidungsgegenstand waren jeweils auf Ableben des überlebenden Ehegatten gestellte Erbscheinanträge der Abkömmlinge entsprechend der in den ehegemeinschaftlichen Testamenten angeordneten Schlusserbeneinsetzung.
Während das OLG München in seiner Entscheidung vom 7.4.2011 in einem Erst-Recht-Schluss (sinngemäß: wenn schon die Geltendmachung des Pflichtteils zum Eingreifen der Klausel führt, dann auch die Geltendmachung einer Position als Miterbe) zu dem Ergebnis kam, dass der Angriff der Alleinerbeneinsetzung des überlebenden Ehegatten in dem vorliegenden Fall zu einem Eingreifen der Pflichtteilsklausel führt, lehnte es dies in dem der Entscheidung vom 6.12.2018 zugrunde liegenden Sachverhalt ab. Begründet hat es dies damit, dass mit dem Antrag auf Einziehung des den überlebenden Ehegatten als Alleinerben ausweisenden Erbscheins noch kein "Verlangen", d. h. kein aktiver Zugriff auf den Erbteil des überlebenden Ehegatten verbunden sei. Spreche die jeweilige Klausel von einem "Verlangen" des Pflichtteils, so kann dem Testament kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass schon der Angriff der Alleinerbeneinsetzung des überlebenden Ehegatten mit dem Ziel des Partizipierens an dem Nachlass des Erstversterbenden das Eingreifen der Pflichtteilsklausel zur Folge haben soll. Formuliere die Klausel dagegen, dass ein "Anfechten des Testamentes" sanktioniert werden soll, so könne ggf. bereits der Antrag auf Einziehen des Erbscheins die Klausel auslösen.
c) Entscheidung des OLG Dresden vom 16.2.1999
Das OLG Dresden hat in seiner Entscheidung vom 16.2.1999 herausgearbeitet, dass, soweit sich aus dem Testament nichts Anderes ergebe, davon auszugehen sei, dass die Klausel nicht ausschließlich dann eingreifen soll, wenn der Abkömmling die Anfechtung des Testaments gem. den §§ 2078, 2079 BGB erklärt, sondern in jedem Fall, in dem das Testament angegriffen wird. Auszunehmen seien ausschließlich solche "Angriffe", die nicht auf die Beseitigung des letzten Willens des Erblassers gerichtet sind, sondern darauf, dem wahren Willen des Erblassers zur Wirksamkeit zu verhelfen. Es müssen aber gewichtige Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass z. B. das Testament unecht ist oder der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung testierunfähig war.
d) Stellungnahme
Für die Fälle des Angriffs...