1. Treu und Glauben
Die Schwächen der bisherigen Begründungsversuche gründen darauf, dass sie mit der gesetzlichen Systematik kaum vereinbar sind und sich dem Vorwurf aussetzen vorauszusetzen, was begründet werden soll: eine Rechtsposition des Erben, die für Testamentsvollstrecker eine Rechtspflicht innerhalb seiner Ermessensentscheidung erzeugt. Die von der Rechtsprechung eingeführten Ausnahmen sind daher Billigkeitsentscheidungen und -tatbestände zugunsten des Erben, die in § 242 BGB ihre einfachgesetzliche Stütze finden. § 242 BGB erlaubt es, die gesetzliche Systematik und die Grundsätze des BGH zu § 2216 Abs. 1 BGB einer umfassenden Einzelfallabwägung und ggf. -korrektur zu unterziehen. Dies ist zwar mit der bei § 242 BGB unvermeidbaren Unbestimmtheit verbunden; aber unschärfer als die bisherigen, monokausalen Begründungsversuche kann dies auch nicht sein. Dabei ist es m.E. nicht so sehr ausschlagend, welche der anerkannten, "großen" Fallgruppen bei § 242 BGB zutreffend ist (z.B. Verletzung eigener Pflichten mit unzulässiger Rechtsausübung, missbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung, Fehlen eines schutzwürdigen Eigeninteresses). Entscheidend ist vielmehr, dass der Testamentsvollstrecker über § 242 sämtliche Interessen und Belange unter Einbezug des Grundgesetzes berücksichtigen kann und muss. Wir können also mit § 242 BGB beim "Wohl" und "Interesse" des Erben im Sinne von BGHZ 25, 275 ansetzen und uns fragen, welche andere Rechtsquelle eine Rechtsposition des Erben begründen könnte, die wiederum den Testamentsvollstrecker dazu zwingt, diese Rechtsposition des Erben evtl. zwingend bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.
2. Thesaurierungsentscheidung und Verfassungsrecht
Diese andere Rechtsquelle könnte für den Erben Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sein, der sein Erbenerwerbsrecht als Ausfluss der Testierfreiheit des Erblasers eigenständig ab dem Erbfall schützt. Die gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Testierfreiheit des Erblassers schafft womöglich ab dem Erbfall auch das Erbschaftserwerbsrecht des Erben als dessen persönliche Rechtsposition.
Diese Rechtsposition hat der Erblasser mit seiner Entscheidung, die Testamentsvollstreckung anzuordnen, indes einfachgesetzlich sofort wieder eingeschränkt und, wie wir gesehen haben, seinen Willen insoweit perpetuiert und transformiert: nun muss der Testamentsvollstrecker den Willen des Erblassers – auch gegen den Willen des Erben – verwirklichen, § 2203 BGB, aber verobjektiviert durch das vom Erbenwillen unabhängige objektive Nachlassinteresse im Sinne von § 2216 Abs. 1 BGB, so BGHZ 25, 275. Braucht der Erbe Nachlasserträge für seinen Unterhalt vom Testamentsvollstrecker, sind daher m.E. folgende verfassungsrechtlichen Überlegungen anzustellen:
Gibt es bei uns zwei Grundrechtspositionen, zwischen denen a priori kein eindeutiger Wertvorzug festzustellen ist? So wie die Testierfreiheit den Erlasser(-willen) unmittelbar schützt, müsste der Erbe sich hier nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auf sein Erbenerwerbsrecht berufen können. Dies könnte zweifelhaft sein. Denn das Bundesverfassungsgericht leitet das Erbenerwerbsrecht von der Testierfreiheit des Erblassers ab: "Grundlage für den verfassungsrechtlichen Schutz des erbrechtlichen Erwerbs ist die Testierfreiheit des Erblassers. Das Erwerbsrecht des Erben bildet hier das Gegenstück zum Verfügungsrecht des Erblassers und leitet sich von diesem ab. Es ist in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG um der Verwirklichung der Testierfreiheit willen geschützt. Da der Erblasser grundsätzlich frei verfügen kann, ob und mit welchen Beschränkungen er eine Person zum Erben bestimmt, folgt daraus, dass der begünstigte Erbe den grundrechtlichen Schutz nur in dem jeweils vom Erblasser gewährten Umfang erlangen kann. Beschränkt der Erblasser in Ausübung seiner grundrechtlich geschützten Testierfreiheit die Verfügungsbefugnis des Erben über den Nachlass, kann der Erbe den Nachlass nur mit dieser Verfügungsbeschränkung erwerben. Weil sein verfassungsrechtlicher Schutz sich von der Testierfreiheit ableitet, kann der Erbe nicht unter Berufung auf ein durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verbürgtes Erwerbsrecht erreichen, dass seinem Interesse an der Ausübung unbeschränkter Rechte am Nachlass der Testierwille des Erblassers untergeordnet wird. Deshalb ist es auch ausgeschlossen, dass die fachgerichtliche Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift i.S. des Erblasserwillens Rechte des Erben aus Art. 14 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Das gilt auch für die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen zur Dauer der Testamentsvollstreckung und die Auslegung des § 2210 BGB. Die Vorschrift enthält eine gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zulässige Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers."
Der Erblasser bestimmt also mit seiner Testierfreiheit auch Inhalt und Umfang des Schutzes, den der Erbe über Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nur vice versa zur Testierfreiheit einfordern kann. Diesen Schutz gestand das BVerfG bei § 2210 BGB dem Erben nicht zu, weil der Erblasser seine T...