Leitsatz
1. Vor der Löschung des Nacherbenvermerks wegen Unrichtigkeit sind auch die hierdurch betroffenen Nacherben zu hören. Die Ermittlung der am Verfahren zu beteiligenden Nacherben darf das Grundbuchamt nicht den Beteiligten aufgeben. Vielmehr hat es von Amts wegen die am Verfahren materiell Beteiligten zu ermitteln.
2. Sollten die Nacherben nicht ermittelt werden können, ist eine Pflegschaft für unbekannte Beteiligte (§ 1913 BGB) bei dem zuständigen Gericht von Amts wegen anzuregen. Erst wenn das Gericht die Einrichtung einer solchen Pflegschaft abgelehnt hat, kann dem Beteiligten im Wege der Zwischenverfügung die Möglichkeit gegeben werden, selbst für eine solche Pflegerbestellung zu sorgen.
OLG Hamm, Beschl. v. 22.4.2022 – 15 W 76/22
1 Gründe
I.
Der Beteiligte, der aktueller Eigentümer des in Rede stehenden Grundbesitzes ist, hat mit Antrag vom 19.10.2021 die Löschung des in Abt. II unter der lfd. Nr. 6 eingetragenen Nacherbenvermerks beantragt. Der Nacherbenvermerk hat folgenden Wortlaut:
Zitat
Die "(…)" J W in E ist befreite Vorerbin. Nacherben des F W sind beim Tode der Vorerbin deren eheliche Abkömmlinge. Für den Fall, dass die Vorerbin kinderlos verstirbt, sind Nacherben
a) I S in X,
b) H T in E.
Aufgrund des Testaments vom 4.2.1953, 7 IV 112/53 Amtsgericht Dortmund eingetragen am 26.1.1962.
Der Beteiligte hat seinen Löschungsantrag wie folgt begründet: Durch die Veräußerung im Jahre 1963 durch die Mitvollerbin D W und die befreite (Mit-) Vorerbin J W an die Eheleute G und K L sei der Grundbesitz endgültig aus dem der Nacherbschaft unterliegenden Nachlass ausgeschieden. Die Veräußerung sei in vollem Umfang entgeltlich gewesen. Mithin sei das Grundbuch hinsichtlich des Nacherbenvermerks unrichtig geworden (§ 22 GBO).
Das Grundbuchamt hat den Löschungsantrag zurückgewiesen, weil den Nacherben, also insbesondere den ehelichen Abkömmlingen der befreiten Vorerbin J W, vor der Löschung des Nacherbenvermerks rechtliches Gehör zu gewähren sei, diese aber nicht hätten ermittelt werden können. Ferner sei kein Zustellungsvertreter oder Pfleger für die unbekannten Nacherben bestellt worden.
Hiergegen wendet sich der Beteiligte mit seiner Beschwerde vom 4.3.2022 unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen.
II.
Die nach §§ 71 ff. GBO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Grundbuchamt.
Der ablehnende Beschluss kann jedenfalls mit der dort gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Da das FGG-RG die Eigenständigkeit der Vorschriften der §§ 71 ff. GBO betreffend die Beschwerde in Grundbuchsachen nicht berührt hat, gelten die Beschränkungen des § 69 Abs. 1 FamFG hier nicht (vgl. nur Senat, Beschl. v. 14.12.2010 – 15 W 490/10, FGPrax 2011, 127; Budde, in: Bauer/Schaub, GBO, 4. Aufl., § 77 Rn 22). Im Einzelnen:
1.
Allerdings geht das Grundbuchamt im Ansatz zutreffend davon aus, dass der Nacherbenvermerk u.a. dann gelöscht werden kann, falls die Unrichtigkeit des Grundbuchs (§ 22 GBO) in der Form des § 29 GBO nachgewiesen ist. Das kann der Fall sein, wenn das in Rede stehende Grundstück endgültig aus dem der Nacherbschaft unterliegenden Nachlass ausgeschieden ist. Letzteres trifft zu, wenn die Verfügung des Vorerben auch ohne Zustimmung der Nacherben voll wirksam war, weil der befreite Vorerbe in vollem Umfang entgeltlich verfügt hat (vgl. dazu nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.3.2012 – 3 Wx 299/11, FamRZ 2012, 1762).
Weiterhin geht das Grundbuchamt zutreffend davon aus, dass vor der Löschung des Nacherbenvermerks wegen Unrichtigkeit (§ 22 GBO) auch die hierdurch betroffenen Nacherben zu hören sind (vgl. Senat, Beschl. v. 19.1.1995 – 15 W 303/94, FGPrax 1995, 14; Senat Rpfleger 1984, 312; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Die Ermittlung der am Verfahren zu beteiligenden Nacherben darf das Grundbuchamt indessen nicht den Beteiligten aufgeben. Vielmehr hat es von Amts wegen die am Verfahren materiell Beteiligten zu ermitteln (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Dieser Verpflichtung ist das Grundbuchamt aber bisher nicht – in vollem Umfang – nachgekommen.
Das Grundbuchamt hat zwar die alten Grundakten angefordert. Auch hat es – vergeblich – versucht zu ermitteln, ob die befreite (Mit-) Vorerbin J W noch im Melderegister eingetragen und dort ihre aktuelle Anschrift verzeichnet ist. Ferner hat das Grundbuchamt – vergeblich – versucht aufzuklären, ob Nachlassvorgänge betreffend die Vorerbin J W vorhanden sind; die Anfrage an das Nachlassgericht ist negativ beschieden worden. Das Grundbuchamt hat zudem die Nachlassakten betreffend den Erblasser F W angefordert.
Damit hat das Grundbuchamt aber noch nicht alle Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Es hat ausweislich der Grundakten nicht den Eingang der angeforderten Nachlassakten betreffend F W abgewartet; nach F W existiert jedenfalls nach dem Wortlaut des Nacherbenvermerks die Nachlassakte (d.h. Testamentsakte) 7 IV 112/53 AG Dortmund. Regelmäßig befinden sich in den Testamentsakten die Anschriften der gesetzl...