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Der Ausgleichungstatbestand des § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB fristete lange Zeit ein Schattendasein. Mittlerweile gewinnt die Vorschrift, die bei Pflegeleistungen gegenüber dem Erblasser die Teilungsquoten zugunsten pflegender Abkömmlinge modifiziert, jedoch infolge des demografischen Wandels zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der nachfolgende Beitrag die von unbestimmten Rechtsbegriffen geprägte Ausgleichungsvorschrift und geht anschließend auch auf denkbare Ausgleichsinstrumente de lege ferenda ein.
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Im hier vorliegenden ersten Teil des Beitrags wird zunächst auf den sozialpolitischen Bedeutungswandel des § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB eingegangen und sich anschließend mit der Frage beschäftigt, was unter dem konkretisierungsbedürftigen Begriff der "Pflege" zu verstehen ist und ob diese zum Vermögenserhalt beim pflegebedürftigen Erblasser geführt haben muss. Abschließend werden Fragen zur Höhe des Ausgleichungsbetrags behandelt. Der zweite Teil widmet sich sodann in einem separaten Beitrag dem Kreis der Ausgleichungsberechtigten und alternativen Ausgleichsformen für innerhalb der Familie erbrachte Pflegeleistungen.
1. Ursprünglicher Normzweck und Bedeutungswandel
Als Ausgangspunkt für das Verständnis von § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB kann die historische Entwicklung der Norm dienen. Im Laufe der Zeit hat sich der Normzweck der Vorschrift vor allem durch Impulse aus der Rechtsprechung stark verändert. § 2057a BGB mit seinen unterschiedlichen Ausgleichungstatbeständen wurde ursprünglich im Jahr 1969 geschaffen, um eine erbrechtliche Benachteiligung der ehelichen Abkömmlinge des Erblassers auszuschließen. Der Gesetzgeber ging zum damaligen Zeitpunkt davon aus, dass überobligatorische Leistungen zugunsten des Erblassers vor allem von ehelichen Abkömmlingen zu erwarten seien.
Vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen (auch erbrechtlichen) Gleichstellung der nichtehelichen Abkömmlinge wollte er mit § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB die Berücksichtigung besonderer Verdienste der ehelichen Abkömmlinge rund um den Erhalt des Erblasservermögens sichergestellt wissen. Vor allem sozio-strukturelle und demografische Veränderungen dürften in der Zeit nach der Einführung des § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB dazu geführt haben, dass sowohl Rechtsprechung als auch Literatur speziell dem Ausgleichungstatbestand für Pflegeleistungen aus § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB nunmehr eine vom ursprünglichen Normzweck abweichende, vermehrt sozialpolitische Funktion zuschreiben. So wird zum einen mittlerweile zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern in der Bevölkerung nicht mehr unterschieden. Zum anderen rückt die fortschreitende Überalterung der Gesellschaft und der hierdurch erhöhte Pflegebedarf in der Bevölkerung den Aspekt (familiärer) Pflege stärker in den gesamtgesellschaftlichen Fokus. Gerade der letztgenannte Aspekt zeigt sich besonders deutlich in der Art und Weise, wie die Tatbestandsmerkmale des § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB inzwischen von der Rechtsprechung ausgelegt werden. So stellen die Gerichte in ihren Urteilen mehrheitlich für die Höhe des Ausgleichungsbetrags nicht mehr allein darauf ab, inwieweit durch die Pflegetätigkeit der Nachlass erhalten wurde, sondern legen ihren Erwägungen auch sozialpolitische Gesichtspunkte zugrunde. Es sei zu beachten, dass der Gesetzgeber mit § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB auch dazu beitragen wolle, häusliche Pflegeleistungen der Angehörigen zu fördern und zu honorieren und auf diese Weise eine Heimunterbringung des pflegebedürftigen Erblassers möglichst lange zu verhindern. Um dieser sozialpolitischen Anreizfunktion ausreichend Rechnung tragen zu können, dürfe der Maßstab des reinen Vermögenserhalts nicht herangezogen werden, um die Ausgleichungsforderung nach oben hin zu begrenzen. Vielmehr habe man wegen der besonderen Bedeutung der familiären Pflege für den Erblasser etwa auch den immateriellen Wert der familiären Pflege mit in die Wertbestimmung einfließen zu lassen.
Wandelt sich im Laufe der Zeit das Verständnis vom Sinn und Zweck einer gesetzlichen Vorschrift und wird der Norm infolgedessen eine Funktion zugeschrieben, die vom Gesetzgeber beim Inkrafttreten so nicht beabsichtigt war, ist für die veränderte Norminterpretation eine sachliche Begründung erforderlich, wenn man vermeiden will, dass der Norminterpret die vom Wortlaut der Vorschrift gesetzten Grenzen über Gebühr ausweitet. Als Anknüpfungspunkt für die veränderte Norminterpretation können dabei zum einen außerrechtliche Umstände dienen, die sich seit der erstmaligen Ausfertigung des Gesetzes geändert haben und nun ein veränd...